: Harmloser Marquis
Interview mit Philip Kaufman, dem Regisseur des jetzt anlaufenden Films „Quills – Macht der Besessenheit“ ■ Von Jörg Taszman
Philip Kaufman wuchs in Chicago auf und studierte an der dortigen Universität Geschichte, bevor er sich für das europäische Kino interessierte. Nach ersten Filmen wie Invasion of the Body Snatchers und The Wanderers verschaffte er sich Respekt in Hollywood als Drehbuchautor des ersten Indiana Jones Films Jäger des verlorenen Schatzes.
Seinen Durchbruch hatte er 1983 mit dem Astronauten Epos Der Stoff, aus dem die Helden sind mit Sam Shepard und Ed Harris. Kaufmans wohl bekanntestetes Werk ist jedoch die Verfilmung von Milan Kunderas Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins mit Juliette Binoche und Daniel Day Lewis, der aus politischen Gründen 1988 in Lyon (als Double für Prag) gedreht wurde. Dem Thema Erotik widmete sich der Amerikaner bereits 1990 mit Henry & June, einem Film über die Liaison zwischen Henry Miller und Anaäs Nin.
taz hamburg: Ihre Filmprojekte sind sehr ambitioniert, nehmen allerdings immer viel Zeit in Anspruch.
Philip Kaufman: Diesmal hat es sieben Jahre gedauert. Das ist meine Tragödie (lacht). Vor Jahren habe ich einmal in einem Jahr zwei Filme gedreht, The Invasion of the Bodysnatchers und The Wanderers. Damals war ich glücklich. Ich liebe es, Filme zu drehen. John Ford drehte bis zu vier Filme in einem Jahr. Aber heute leben wir in einer anderen Welt. Da ist es schwer, die Studios dazu zu bewegen, Geld zu geben. Die sagen dann: „Wir machen den Film, wenn du uns einen Tom besorgst – Tom Hanks oder Tom Cruise. Wenn du schon keinen Tom kriegen kannst, dann besorge wenigstens einen Mel. Wenn Dir das auch nicht gelingt, vergiss den Film.“
Sie drehen lieber ohne Stars mit mehreren ausdrucksstarken, meist europäischen Darstellern?
Ich habe lieber vier großartige Schauspieler, wie diese guten britischen Darsteller. Ich drehe lieber Ensemble-Filme. Aber heute geht es im Kino um Formeln. Oft denkt man nur an das Publikum in den Multiplexen, bei denen ein Film sofort funktionieren muss. Mich stört dieser Ansatz, den auch Filmkritiker haben, wo immer sofort gesagt wird, ob einem der Film gefallen hat. Wie würde man nach diesen Kriterien heute Filme von Bergman oder Fellini aufnehmen? Das Publikum würde sie vielleicht hassen, dabei funktionieren diese Werke noch nach 30 Jahren und tanzen in deinem Kopf mit den Dämonen. Ich bin mit europäischen Filmen und dem klassischen amerikanischen Kino aufgewachsen. Diese Filme sehe ich mir heute noch an.
Quills hat mit etwa 13 Millionen Dollar relativ wenig gekostet, aber in den USA nur sechs Millionen eingespielt.
Dabei war der Film wirklich ein Erfolg. Der Verleih hat ihn nur nicht in vielen Kinos herausgebracht. Das war mein Kampf von Anfang an. Ich habe immer gesagt, habt keine Angst vor dem Marquis de Sade. Wir haben Stars und alles, was ein Film braucht. Aber dann lief der Film nur in New York, Los Angeles und San Francisco. In Chicago haben sie Quills erst vier Wochen später herausgebracht. Sie hatten Angst vor den Filmkritikern. Selbst in kleineren Städten wie Orlando und Vancouver kam der Film gut an. Der Verleih hatte die falsche Strategie. In Mexiko läuft er übrigens sehr gut und wird dort wohl besser abschneiden als in Amerika.
Ist Quills nicht eher ein Film für ein amerikanisches Publikum, das so viel leichter zu schockieren ist, als beispielsweise ein Film wie Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, der mehr für den europäischen Zuschauer gedacht war ?
Das weiß ich nicht. Ich habe diesen Film nicht für ein spezielles Publikum gemacht. Das ist die Geschichte über einen sehr provokativen Mann. Sade ist nicht einmal unbedingt im Zentrum dieses Films, sondern vielleicht der von Joaquin Phoenix gespielte katholische Priester, der das Irrenhaus leitet. Da ist eine Parabel versteckt, die auch für Europäer interessant sein müsste: Wie kann man einen liberalen Staat führen, mit extremen Verrückten von beiden Seiten? Einmal ein repressives, faschistoides System und dem gegenüber ein radikaler Nietzscheaner der sich nur für seine eigenen Schriften interessiert. Interview: Jörg Taszman
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