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Scharon frisst Kreide

Der neue israelische Ministerpräsident beschwört vor der Knesset die Überwindung gesellschaftlicher Klüfte

JERUSALEM taz ■ Mit besänftigenden Worten nahm Ariel Scharon sein Amt als Premierminister auf. Von „schmerzlichen Kompromissen“ im Friedensprozess sprach er in seiner Antrittsrede vor der Knesset am Mittwoch, von „der Überwindung gesellschaftlicher Klüfte“ und einem besseren Miteinander vonJuden und Nichtjuden im Land. Mit allen Mitteln versucht Scharon, die bösen Assoziationen, die sein Name bei Linken, bei Palästinensern und im Ausland weckt, zu vertreiben. Sein politisches Programm blieb indes bislang so nebulös wie schon im Wahlkampf.

Mit Blick auf Jerusalem sprach er von der „ewig jüdischen Hauptstadt“. Dabei verzichtete er jedoch auf das Wort „ungeteilt“, was zweifellos kein Versehen war, sondern auf eine neue Kompromissbereitschaft in der Jerusalemfrage hoffen läßt. Neu ist auch, dass Scharon „keine neuen Siedlungen“ bauen will – ein Zugeständnis, das ihm die Arbeitspartei abgerungen hat.

So bald wie möglich will Israels neuer Außenminister Schimon Peres mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat zusammenkommen, um die Fortsetzung der Verhandlungen einzuleiten. Scharon hält jedoch an seiner Bedingung fest, dass zuvor Gewalt und Terror beendet sein müssen. Um das zu gewährleisten, müsste Arafat seine Sicherheitsleute dazu anhalten, selbst nicht mehr zu schießen und Unruheherde einzudämmen. Zusätzlich müssten all die Hamas- und Dschihad-Aktivisten, die im Oktober auf freien Fuß gesetzt wurden, wieder verhaftet werden. Maßnahmen, die ohne sofortige israelische Gegenleistung in der derzeitigen Situation vor dem palästinensischen Volk kaum vertretbar sind. Die einzige Gegenleistung, die Scharon als Dank bereithält, sind Verhandlungen um einige Prozent Land. Denn selbst wenn alle Bedingungen erfüllt sind, will der Premierminister weniger als die Hälfte des palästinensischen Gebietes räumen.

Scharons politische Überlebenschancen sind besser als die seines Vorgängers. Er ist nicht nur der Chef einer breiten Koalition. Auch die am Mittwoch beschlossene Abkehr von der Direktwahl des Premierministers festigt seine Position. Wie bis 1992 wird der Premierminister künftig wieder von der stärksten Fraktion gestellt. Fraktionen wie die Schas oder auch die antireligiöse Schinui werden deshalb nicht unbedacht Neuwahlen einleiten. Mit der Großen Koalition können wirtschaftliche Entscheidungen mit Blick auf Privatisierung und Steuerreformen getroffen werden. Schwieriger ist es mit umstrittenen Tagesordnungspunkten, die vermutlich wieder bis zu den nächsten Wahlen im November 2003 liegen bleiben. Die von Barak geplante Säkularisierung zum Beispiel: Am Mittwoch verschoben die Abgeordneten die Verabschiedung eines Gesetzes, mit dem der Militärdienst für Studenten der religiösen Jeschiwa-Schulen geregelt werden sollte, um zwei Jahre. Ein Blick auf die neuen Chefs in den innenpolitisch entscheidenden Ämtern lässt zudem einen Rückfall in ein stärker jüdisch und zionistisch geprägtes Israel befürchten. In der Frage von standesamtlichen Eheschließungen und der Familienzusammenführung von Immigranten wird unter dem neuen orthodoxen Innenminister Eli Ischai von der Schas wieder ein härterer Wind wehen. Eine „Schulausbildung im zionistischen Sinne“ kündigte außerdem die neue Erziehungsministerin Limor Livnat (Likud) an. Ihr Vorgänger im Amt, Jossi Sarid, (Meretz) hatte sich noch für gleichberechtigte Lernbedingungen für Juden und Nichtjuden im Land stark gemacht. Genau das, was Scharon in seiner Antrittrede versprach.

SUSANNE KNAUL

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