piwik no script img

Immer auf die Kleinen

Mehr als ein Viertel seines Etats muss Radio Bremen, der kleinste ARD-Sender, einsparen. Die Folge: Ein amtlicher Nervenkrieg zwischen dem Intendanten und den MitarbeiterInnen bahnt sich an

aus Bremen CHRISTOPH KÖSTER

Wenn hoher Besuch in die Provinz kommt, darf nichts die Stimmung trüben. Doch die Stimmung war stockfinster an jenem Sonntag Ende Februar in Bremen, als der ARD-Vorsitzende und WDR-Intendant Fritz Pleitgen in die Hansestadt kam, um einen Preis entgegenzunehmen. Auf einer ganzen Seite hatte die der Weser-Kurier eine Bestandsaufnahme des Sparsenders Radio Bremen (RB) veröffentlicht. Und nach der Lektüre ist RB-Intendant Heinz Glässgen offenbar vor Wut der Kragen geplatzt.

Dem erst seit anderthalb Jahren amtierenden Glässgen läuft im Sender die Gefolgschaft davon. Interne Kritiker schmähen seinen Führungsstil als autoritär und chaotisch. Öffentlich will dazu niemand was sagen. Kein Wunder: Interne Kritiker haben mit Abmahnungen zu rechnen.

Als Maulkorberlass gilt im Sender der kürzlich von Glässgen an alle AbteilungsleiterInnen verschickte Brief, in dem er sie an ihre Loyalitätspflicht erinnert. Trotzdem fühlt sich der vom NDR nach Bremen gekommene Intendant von seinen beiden DirektorInnen allein gelassen. „Durch Ihre Mitarbeiter wird der Intendant sehr beschädigt, und Sie verhalten sich nicht dazu“, schrieb er in einem Brief an Programmchefin Claudia Schreiner und Betriebsdirektor Heiko Block.

Sanfter Wutschrei

In einem „Wutschrei“, so Verwaltungsratschef Thomas von der Vring, hat Glässgen den Gremienvorsitzenden sogar seinen Rücktritt angeboten. Die lehnten ab. Der Intendant will das nach Angaben eines RB-Sprechers auch nicht wörtlich gemeint haben. Unterdessen versicherten die von Glässgen selbst vorgeschlagenen DirektorInnen, Glässgens Kurs voll zu unterstützen: Es habe keine Missstimmungen gegeben.

Spekulationen machen die Runde, dass Glässgen selbst den Brief an DirektorInnen als lauten Warnschuss lanciert hat. Nach dem Radio-Bremen-Gesetz kann er die DirektorInnen bei Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zur Abwahl vorschlagen. „Das Direktorium ist ein gutes Team“, glaubt die Rundfunkratsvorsitzende Roswitha Erlenwein aber weiterhin. Nach ihrer Auffassung sind „Heckenschützen“ im Sender am Werk, die nicht kapiert hätten, dass beim Sparkurs nicht alles beim Alten bleiben könne. „Da liegen teilweise die Nerven blank.“

50 Millionen Mark oder mehr als ein Viertel des Etats muss der kleinste ARD-Sender bis 2005 einsparen. Glässgen will deshalb die vier Radiowellen auf zwei Vollprogramme und zwei Kooperationsmodelle zusammenstreichen. Statt des rund 25 Millionen Mark teuren Kulturprogramms Radio Bremen 2 soll ab September das vom NDR kofinanzierte und nur noch halb so teure „NordWest-Radio“ auf Sendung gehen. Mit dem WDR verhandelt Glässgen über einen Ausbau am Funkhaus Europa, dem RB schon heute zuliefert. Was aus der Bremer TV-Präsenz in der ARD und auf N 3 werden soll, ist noch weitgehend offen. Dem erfolgreichen TV-Regionalmagazin „buten & binnen“ hat Glässgen dagegen sogar ein Geschenk versprochen: Das Magazin soll auch eine Samstagssendung bekommen, Termin und Finanzierung gelten noch als ungeklärt.

Die Kritik an Glässgen bezeichnet der Verwaltungsratsvorsitzende Thomas von der Vring als „Beziehungskisten“. Und die Rundfunkratsvorsitzende Roswitha Erlenwein ergänzt: „Die Heckenschützen sollen sich auf ihre Arbeit konzentrieren.“ Doch auf welche Arbeit? Während es in den beiden RB-Gebäuden noch immer Abteilungen gibt, die fürs Nichtstun bezahlt werden, fehlen in anderen Abteilungen die Leute.

Unklare Aussichten

Durch eine Vorruhestandsregelung sind die Kamerateams so weit ausgedünnt, dass Aufträge nach außen vergeben werden müssen. Glässgen verzichtet zwar auf betriebsbedingte Kündigungen, doch viele jüngere MitarbeiterInnen suchen sich wegen der unklaren Aussichten längst bei anderen Sendern Arbeit.

„Wenn das so weitergeht, bleiben nur noch Leute übrig, die man zu nichts mehr motivieren kann“, sagt einer der „Heckenschützen“. Die Ende 1999 noch euphorische Stimmung im Sender ist gefährlich umgeschlagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen