: Das Emder Elektro-Pech: Baggern bis der Krebs kommt
■ Beim Verladen von Elektro-Pech wurden Arbeiter im Emder Hafen lange krebserzeugenden Giften ausgesetzt / Seit fünf Jahren kämpfen sie vor Gericht
Einige Kollegen sind tot, andere leiden an Blasen- und Nierenkrebs. Walter Groenewold (77) aus Petkum bei Emden ist selbst gesundheitlich schwer angeschlagen. „Alle haben gewusst, das Elektro-Pech gefährlich ist, aber uns Arbeitern hat keiner was gesagt.“ Noch heute treibt es den Rentner zur Weißglut, denkt er an seine frühere Arbeit im Emder Verladehafen am Südkai zurück. Trauriges Jubiläum: Seit fünf Jahren kämpfen seine Kollegen vor Gericht für ihre Entschädigung und für die Bestrafung der Verantwortlichen. Jetzt haben sie wegen Verschleppung des Verfahrens gegen den ermittelnden Staatsanwalt eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht.
Von 1960 bis 1991 wurde am Südkai des Emder Hafens Elektro-Pech verladen. Das Granulat wird zur Herstellung von Elektro-A-noden benutzt. Kein deutscher Hafen wollte das Zeug seinerzeit umschlagen. Es gilt unter Experten als hochgiftig. Bis Anfang der sechziger Jahre waren Erze und Kohle die Hauptumschlagsgüter im Emder Hafen. Mit der drohenden Stahlkrise im Ruhrgebiet gingen die Erzeinfuhren zurück. Emden stand vor dem wirtschaftlichen Ruin. Das Angebot, exklusiv Elektro-Pech zu verladen, half den Emdern aus der Patsche. Bis zu ihrer Auflösung 1983 verluden die Arbeiter des Emder Hafen–Betriebs–Vereins (HBV) das Pech. Deren Betriebsratsvorsitzender war elf Jahre lang, von 1974 bis 1983, Walter Groenewold. „Ich war nicht freigestellt, ich habe malocht“, sagt Groenewold nicht ohne Stolz. „Wenn der Bagger das Pech auf die Frachter hob, standen wir alle in einer Staubwolke“, erinnert er sich. „Die Kollegen haben sich oft beschwert, sie hatten gesundheitliche Probleme. Aber was sollten wir vom Betriebsrat machen? Alle waren froh, dass es Arbeit gab. Arbeitsniederlegung gab es für uns nicht. Geht zum Arzt, hab ich den Leuten gesagt“, sagt der alte Hafenarbeiter.
Heute ist klar: Die Arbeiter und Kranführer waren krebserzeugenden Giften ausgesetzt. Dies bestätigt ein aktuelles Gutachten des Niedersächsischen Landesamts für Ökologie. 20 Arbeiter haben ihre Krebserkrankung bisher als Berufskrankheit von der Berufsgenossenschaft anerkannt bekommen. „Das Pech war Gift für den ganzen Körper“, zürnt der ehemalige Betriebsratschef Groenewold. Und weiter: „Wenn die Sonne besonders schön schien, legte sich der Staub über den ganzen Körper. Wir wurden bei lebendigem Leibe verbrannt. Wir haben nie von irgend jemand Schutzkleidung bekommen.“ Nur als eine Baufirma am Südkai neue Betriebsanlagen errichten wollte, und Teile des Geländes entsorgt werden mussten, arbeiteten die Arbeiter in Schutzanzügen und mit Atemschutz.
Erich Bolinius, F.D.P.-Ratsherr in Emden, unterstützt die Hafenarbeiter seit einigen Jahren. „Grundlage der Entschädigungsklagen sind die Gesundheitsakten der Männer“, sagt Bolinius. Die Akten lagerten einst im Emder Gesundheitsamt. Aber heute sind sie verschwunden. Der Staatsanwalt ermittelte zu lange, meinen die Arbeiter und haben gegen ihn jetzt Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. „Es ist wie beim Kampf der Bremer Vulkanarbeiter, die von Asbeststaub vergiftet wurden. D as Gerichtsverfahren wird verschleppt“, meint Erich Bolinius. Einige ehemalige Kollegen sind bereits verstorben.
Pikant an der Emder Pech-Affäre ist die Verwicklung lokaler Prominenz in den Skandal. Der Arzt beim Gesundheitsamt, aus dessen Geschäftsbereich die Gesundheitsakten der Arbeiter verschwanden, war gleichzeitig Betriebsarzt der Emder-Hafen-Umschlags-Gesellschaft (EHUG). Die stellte Maschinen und Kranführer für die Pechverladung. Und der heutige Oberbürgermeister der Stadt, Alwin Brinkmann (SPD), saß damals im Aufsichtsrat der EHUG. „Die alten Geschichten schaden unserem Image. Wir müssen nach vorn schauen“, meint ein Mitarbeiter des Niedersächsischen Hafenamtes Emden. Thomas Schumacher
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