: Small is not beautiful
Ostdeutsche Viehzüchter sind unbeliebt: Angeblich erhalten sie besonders viele Prämien, um besonders viele Rinder zu quälen – und dies besonders umweltschädlich
„Schluss mit der Agrarindustrie“ – spätestens seit der BSE-Krise findet jeder Konsument diese Forderung gut. Und allen ist klar, dass die Großbetriebe in Ostdeutschland ganz bestimmt zu dieser Agrarindustrie zählen. Haben nicht viele von ihnen 1.500 Rinder und mehr im Stall? Das muss doch „Industrie“ sein. Daher stieß der Vorschlag des EU-Kommissars Fischler auf viel Zustimmung, die Förderung auf 90 Bullen pro Betrieb zu begrenzen. Und viele konnten nicht nachvollziehen, dass ausgerechnet die Grüne Künast diesen Fischler-Plan verhinderte, weil die ostdeutschen Großbetriebe dann insgesamt jährlich mehr als 25 Millionen Euro an Subventionen verloren hätten. Warum hat die Verbraucherministerin den Fischler-Plan nicht freudig unterstützt? Schließlich scheint sich doch endlich die lang ersehnte Chance zu bieten, die LPG-Nachfolger zu zerschlagen. Eine Chance, die nach der Wende verpasst worden ist, wie viele bedauern.
Erinnern wir uns: Anders als die ostdeutsche Industrie wurde die DDR-Landwirtschaft nicht „abgewickelt“. Sowohl der damalige Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle wie auch der Präsident des Bauernverbandes, Freiherr Heereman, setzten sich dafür ein, die LPG-Strukturen zu erhalten. Dies war ein Glücksfall – und keineswegs selbstverständlich. Denn es gab zahllose Initiativen aus ganz unterschiedlichen Richtungen und mit diversen Motiven, die die ostdeutschen Agrargenossenschaften auflösen wollten. Da waren jene durch die Bodenreform Enteigneten, die natürlich ihr Land zurückhaben wollten. Da gab es die Umwelt- und Tierschutzverbände, die den Slogan „Klein ist tiergerecht und groß ist Tierquälerei“ ausgaben. Da waren die alternativen Interessenvertretungen der Bauern, die die kleinbäuerlichen Betriebe schützen wollten. Und nicht zuletzt waren da jene, die die LPG verlassen hatten oder aus dem Westen übersiedelten, um sich als „Wiedereinrichter“ auf der eigenen Scholle selbstständig zu machen. Doch ihnen allen sei gesagt: Es gab keine befriedigende Alternative zur damaligen Agrarpolitik (allerdings fiel die Entschädigung für einige der aus der LPG Ausgeschiedenen ungerecht aus, dies ist unbedingt zu korrigieren). Hätte man die genossenschaftlichen Strukturen zerschlagen – dann wäre die Landwirtschaft im Osten heute in den Händen ausländischer Kapitalgeber. Dies hätte fatale Auswirkungen für den ländlichen Arbeitsmarkt und den sozialen Frieden auf dem Lande gehabt.
Dies wird im Westen allerdings vielfach anders gesehen. Man wird nicht müde, immer wieder auf die angeblich himmelschreiende Ungerechtigkeit hinzuweisen, dass 80 Prozent der Agrarsubventionen in die Hände von nur 20 Prozent der landwirtschaftlichen Unternehmen fließen. Und dann kommen die Beispiele: Die durchschnittliche Flächenförderung liegt in Deutschland bei etwa 700 Mark pro Hektar. Das bedeutet, dass ein Landwirtschaftsbetrieb in Bayern mit 40 Hektar ca. 28.000 Mark an Flächenprämie bekommt. Ein Landwirtschaftsbetrieb in Thüringen mit 1.000 Hektar erhält dagegen ungefähr 700.000 Mark. Und das, obwohl der Großbetrieb noch nicht einmal Stroh im Kuhstall hat, die Felder mit Gülle vergiftet und überhaupt „fabrikmäßig“ alles mit hohem technischem Aufwand betrieben wird!
Doch nun zu den Fakten: In einem durchschnittlichen Betrieb in Thüringen mit 1.000 Hektar und Viehwirtschaft arbeiten in der Regel zwischen 30 und 40 Beschäftigte. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Männer, denn in den ländlichen Regionen mit einer verdeckten Arbeitslosigkeit von annähernd 40 Prozent gibt es für Frauen nichts zu tun. Das bedeutet, dass sich 30 bis 40 Familien die 700.000 Mark Agrarsubventionen teilen müssen – also bleiben pro Familie zwischen 18.000 und 24.000 Mark. Dies ist wesentlich weniger, als für jenen Beispielhof in Bayern abfällt, der die erwähnten 28.000 Mark bekommt und seine 40 Hektar in der Regel ohne zusätzliches Personal bewirtschaftet.
Ja, aber was ist mit der Massentierhaltung? Ist sie nicht tierquälerisch und umweltbelastend? Nein. Die Experten sind sich längst einig, dass Tiergerechtigkeit per se nichts mit der Herdengröße zu tun hat. Zwar lässt die Theorie vermuten, dass es Tieren in kleinen Beständen besser geht als in großen, doch zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass dies nicht das einzige Kriterium ist. Zum Beispiel leiden dauerhaft angebundene Kühe im Westen „mit viel Stroh unterm Bauch“ mehr als ihre ostdeutschen Artgenossen, die sich in großen Gruppen frei bewegen und sich im Stall nur auf Gummimatten legen können. Und Gülle an sich ist auch nichts Verwerfliches, wenn sie bedarfsgerecht und umweltverträglich auf den Flächen ausgebracht wird und dort synthetische Düngemittel ersetzt.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Subventionspolitik im Agrarbereich ist sozial und ökologisch ungerecht. Die Ungerechtigkeiten bestehen aber nicht zwischen Groß und Klein, sondern betreffen die unterschiedliche Arbeitskräfteintensität und die Naturverträglichkeit der Produktion. Überall in Europa gibt es „Unternehmen“, bei denen ein einziger Bauer 300 Hektar Getreide anbaut und mit höchstem Chemieeinsatz „betreut“ – und also 210.000 Mark Flächenprämie pro Arbeitskraft kassiert. Und dann gibt es eben die anderen, die zum Beispiel in Grünlandregionen wie in Thüringen die arbeitskraftintensive Milchproduktion betreiben und mit 30 bis 40 Mann nur 700.000 Mark Prämie bekommen. Wohl wissend, dass sie sich marktwirtschaftlich wesentlich besser stellen würden, wenn sie auf die Tierhaltung ganz verzichteten und nur Getreide anbauten. Dann würden sie mit einem Zehntel der Arbeitskräfte die gleiche Flächenprämie erhalten.
Und hier schließt sich der Kreis. Alle, die fernab von Ideologie oder Eigennutz über die Agrarwende nachdenken, sind sich relativ einig: Um die Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu erhalten und um die Pflege der Kulturlandschaft zu gewährleisten, müssen die jetzigen Subventionen in Form von Ausgleichszahlungen an die Landwirtschaft auch künftig erhalten bleiben. Diese Zahlungen dürfen sich jedoch nicht mehr an der reinen Fläche orientieren, sondern müssen das Verhältnis der Beschäftigtenzahl zur Fläche berücksichtigen sowie Kriterien der umwelt- und tiergerechten Produktion einfließen lassen. Dann hätten wir kein Groß-Klein-Problem mehr, denn bestraft würden Tierquälerei, Umweltfrevel und „industrielle Landwirtschaft“ – unabhängig von der Betriebsgröße.
Und die Bauern in Süd- und Westdeutschland hätten ein Feindbild weniger. Statt die Genossenschaften im Osten zu bekämpfen, sollten sie selbst welche gründen: Schon heute wird ein Drittel aller Höfe deshalb aufgegeben, weil sich kein Nachfolger findet. Sie wollen nicht mehr ohne Freizeit und Urlaub rund um die Uhr schuften – ein Problem, das sich in kooperativer Zusammenarbeit lösen lässt.
FRANK AUGSTEN
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