: Ein Beschluss, ein kleiner Beschluss
Die Aufforderung, sich für die Rückkehr zum alten Asylrecht einzusetzen, nimmt keiner so recht ernst – weder die Spitzen der Grünen noch der Kanzler. Bei den Grünen wachsen Zweifel, ob es mit der SPD bis 2002 zu einem Einwanderungsgesetz kommt
von SEVERIN WEILAND
Am Tag nach dem Parteitag begannen die Interpretationen. Was hatten die Delegierten der Grünen wirklich gewollt, als sie die Bundestagsfraktion per Beschluss aufforderten, sich für eine Rückkehr zum alten Asylrecht einzusetzen?
Die Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller wollte ihn als „Mahnung und Erwartung“ an ihre Person verstehen, „sich für einen besseren Flüchtlingsschutz einzusetzen“. Die Partei wisse, dass eine Änderung des Artikels 16, wenn auch wünschenswert, ohne Zweidrittelmehrheit unmöglich sei. Kanzler Gerhard Schröder nannte eine Rückkehr zum alten Asylrecht „aussichtslos“. Seine Bemerkung, es komme vor, dass „Delegierte mal ausflippen“, wollte der Grünen-Parteichef Fritz Kuhn als „freundlichen Hinweis“ darauf gewertet wissen, dass sich nichts ändert. Seine neue Partnerin an der Spitze, Claudia Roth, meinte, der „Beschluss sei ein kleiner Beschluss“ zum Thema Einwanderung gewesen. Auch wenn dessen Verwirklichung nicht möglich sei, so habe die Partei doch das Recht, eine Veränderung zu fordern. Ohnehin, tröstete sie die Grünen, werde die deutsche Dritt-Staaten-Regelung im Asylrecht bei der EU-Harmonisierung erneut behandelt werden.
Unabhängig von der Debatte um das Asylrecht mehren sich bei den Grünen Zweifel, ob es noch in dieser Legislaturperiode zu einem Einwanderungsgesetz kommt. Bereits Joschka Fischers Rede zu Europa war eine gewisse Zurückhaltung an diesem Punkt zu entnehmen. Er hoffe, hatte Fischer den Delegierten des Parteitages in Stuttgart zugerufen, dass es in der Einwanderungsfrage zu „Fortschritten in dieser Legislaturperiode kommt, zumindestens aber, dass die Debatte weitergeht“. In Berlin verwiesen gestern Grüne, die nicht namentlich genannt werden wollten, auf die SPD. Sie sei in der Einwanderungsfrage „objektiv verwundbarer als wir“. Warnende Stimmen aus den Gewerkschaften setzten die SPD unter Druck. Auch wenn die Grünen nach außen hin weiterhin offensiv für ein Einwanderungsgesetz werben würden, dürfe man nicht übersehen, dass die Einwanderungskommission ihre Ergebnisse erst im Juli vorlege, also nahe am Bundestagswahlkampf. Befürchtet wird in Kreisen der Grünen, dass unter diesen Umständen ein Gesetz vorgelegt wird, das „allen populistischen Angriffen gegenüber möglichst wasserdicht ist – und das könnte dann ein schwaches Gesetz sein“.
Die Fraktionschefin der Bündnisgrünen, Kerstin Müller, betonte hingegen gestern gegenüber der taz, es bleibe bei der Verabredung der Koalition, noch in dieser Legislaturperiode ein Einwanderungsgesetz „auf den Weg zu bringen“. Ein erster Schritt könnte laut Müller eine Regelung für die Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen sein. Diese dürfe nicht wie bei der geltenden Green-Card-Verordnung auf eine Branche beschränkt und zeitlich befristet sein. Auch seien derzeit Familienangehörige von Arbeitserlaubnissen ausgeschlossen. Zudem müsse eine solche weitergehende Regelung mit verbesserten Integrationsangeboten einhergehen.
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