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Das Röcheln der Strohhalme

■ Auf der Suche nach der verlorenen (Schul-)zeit füllt die Schulgeschichtliche Sammlung Erinnerungslücken / In ihren Projekten lassen die Ausstellungsmacher die Dinge reden

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es kreucht und fleucht in den Glasvitrinen auf dem Gang der Grundschule Auf der Hohwisch. Doch auf den zweiten Blick stimmt genau das Gegenteil: All die Käuzchen, Habichte, Bussarde, Mäuse und Maulwürfe halten still. Sie sind so genannte „Stopfpräparate“. Denn ausgestopfte Tiere werden heute im Unterricht nicht mehr benutzt – erstens gelten Filme als wesentlich anschaulicher, zweitens sind die toten Tiere mit Arsen präpariert. Also ab damit zum Sondermüll? Eben nicht.

Seit 1983 gibt es in Bremen die Schulgeschichtliche Sammlung, die mittlerweile rund 36.000 Bücher, 12.000 Fotos, 15.000 Karten und fast 20.000 Objekte zählt. Letztere umfassen bei weitem nicht nur Ausgestopftes. Dazu gehören Schulmappen, Klassenbücher, Lehrpläne, Versuchsinstrumente, Puppen, nicht zuletzt Katheder, Schulbänke, Konfirmationshemden und ungefähr 15 verschiedene Sorten „Tintentod“ – Sie erinnern sich doch?

Warum sammeln Menschen? Man versichert sich seiner Vergangenheit in den zahllosen Objekten, weil einem die Gegenwart aus den Händen gleitet – so lautet eine prominente Theorie, die angesichts der Bremer Schulkrisen recht plausibel anmutet. Es gibt aber auch andere, ebenso konventionelle wie einleuchtende Begründungen: „Die Schulgeschichtliche Sammlung war eigentlich eine Rettungsaktion. Als Anfang der 80er Jahre in Bremen das große Schulsterben begann – da wären all diese Dinge beinahe auf dem Müll gelandet“, so die Leiterin der Sammlung, Ulla Nitsch. Und das wäre schade: Ein bis zwei Schulklassen nutzen täglich das Angebot der Sammlung. In einem historischen Klassenzimmer können die Kinder mit ihren Lehrern eine Art Zeitreise unternehmen – inklusive Frühstück und Klamotten von anno dunnemals. Dabei ist es das Besondere der Bremer Schulgeschichtlichen Sammlung, dass sie sich eben nicht nur nostalgisch auf „damals“ bezieht.

„Viele andere Sammlungen behandeln nur die Kaiserzeit“, weiß Ulla Nitsch, „wir haben hier Schwerpunkte zu den Reformschulen der 20er Jahre, zu Schulen im Nationalsozialismus und zur Nachkriegsentwicklung“. Noch im Frühjahr soll es eine Ausstellung zu Jugend und Schulzeit unter den Nazis im Rathaus geben – die Sammlung wird das ihre dazu beitragen.

Nicht nur, was die Wahl bestimmter Zeitabschnitte angeht, auch geographisch sind die MitarbeiterInnen „nicht borniert“. „Wir haben natürlich den Schwerpunkt Bremen, aber hier gehen ja nicht nur Bremer zur Schule“. Als nächs-tes größeres Projekt plant die Belegschaft daher eine Ausstellung mit dem Titel „Schule unter Palmen“. Einfache Lehrmittel aus anderen Kontinenten sollen dann gezeigt werden – eine Art konstruktiver Beitrag zum schulischen Bescheidenheitsdiskurs.

Für alle aber, die in diesen Breitengraden die Schulbank gedrückt haben, liefert die Schulgeschichtliche Sammlung schon jetzt déjà vues in Serie. „Das ist ein großer Vorteil unseres Museums – jeder war mal in der Schule und kann mit den Objekten gleich was anfangen, da gibt es kaum Schwellenängste“, so die Leiterin.

So blitzen jäh Erinnerungen auf beim Anblick physikalischer Versuchsgeräte – die Magdeburger Kugel etwa, an der man studieren kann, dass die zwei Hälften einer Kugel nicht mit zehn Pferden auseinander zu bringen sind, wenn innen drin Unterdruck herrscht. Oder auch die Influenzgeräte, mit denen Schülern bis heute die Entstehung von Elektrizität demonstriert wird.

Letztere sind mit ihrem charakteristischen Gebizzel neuerdings auch auf Cassette zu haben: Neben anderen typischen Schulgeräuschen – dem Kratzen der Schreibfeder, dem Stundengong und dem Röcheln der Strohhalme in der fast leeren Kakaotüte, wurde es von Ilse Rohleder, Mitarbeiterin der Sammlung, mithilfe Radio Bremens auf Band gebannt. Die Cassette ist Teil eines Ausstellungsprojektes, das gestern begonnen hat und noch bis Mai dauern wird. „Besucher suchen – die Dinge des Museums“ ist der Wunsch Schülern, Lehrern und Interessierten klar zu machen, warum Dinge ins Museum kommen. „Die Leute können sich aus dem Regal hier ein Objekt herausholen und es dann selbst katalogisieren.“ Vorher müssen sie natürlich rausfinden: Woher stammt es? Von wann ist es? „Dadurch“ – so die Sammlungschefin Ulla Nitsch – „entsteht zunächst eine Nähe zum Objekt, die sich aber beim Katalogisieren wieder in Distanz verwandelt.“ Nähe und Distanz werden übrigens auch bei den MitarbeiterInnen selbst gefragt sein, wenn sie bald in den Schulen am Holter Feld und Lothringer Straße einrücken: Ihre Aufgabe besteht nicht zuletzt darin, bei schließenden Schulen den Müll vom Museumsstück zu unterscheiden. Elke Heyduck

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