Das sinnlose Gemetzel

Die EU-Agrarpolitik ist Bauernlegen: Die kleine Höfe sind die Verlierer der Seuchen. Zudem werden wertvolle, alte Tierrassen bedroht. Impfen ist daher besser als Keulen

Wenn meine Tiere zur Keulung abgeholt werden, wäre dies das Ende für eine seltene Schweinerasse

„Veterinärpolizeiliche Maßnahmen dürfen nicht zum Selbstzweck werden. Die durch sie gesetzten Nachteile für den Betrieb sind in den meisten Fällen weit größer als der wirtschaftliche Schaden durch die Seuche selber.“ Aus: Dettweiler, „Die Schweinezucht“, erschienen im Jahre 1924

200 Millionen Mark stellt das Bundesministerium für Verbraucherschutz zur Verfügung, um auf der Insel Riems im Greifswalder Bodden die Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere auszubauen und zum zentralen Tierseuchenstandort und zum nationalen Referenzzentrum für BSE zu machen. Doch schon seit 1910 werden dort Impfstoffe gegen die Maul- und Klauenseuche sowie gegen die Schweine- und Geflügelpest entwickelt – also gegen Seuchen, die Anfang des Jahrhunderts noch ganze Viehbestände hinwegrafften.

Angesichts der aktuellen Seuchenpolitik bleibt indes festzustellen, dass die Sense stumpf geworden ist. Die teuer entwickelten Impfstoffe bleiben unbenutzt im Eisschrank liegen. Stattdessen werden ganze Viehbestände mit erheblich höherem Kostenaufwand hingemeuchelt. Massentötung statt Impfprogramm: Da wird im Akkord totgeschlagen, totgeschossen und verbrannt, Seuchenbekämpfung im Blutrausch. Wer die Bilder gesehen hat, wird sie nicht vergessen. Wobei diese Willkür für die betroffenen Bauern, ihr Umfeld, die Steuerzahler und jeden gesunden Menschenverstand nicht nachvollziehbar ist. Wozu denn die 200 Millionen Mark für Riems, wenn die Produkte der Forschung in der Schublade bleiben?

Wenn der aktuelle Umgang mit der Tierseuche in Nordrhein-Westfalen betrachtet wird, offenbaren sich die „Mängel“ am System. Die radikalen Seuchenbekämpfer zeigen einen allzu gastfreundlichen Umgang mit dem Virus. Die unprofessionelle und bestialische Keulung einer Herde und der Abtransport in nur oberflächlich desinfizierten Lkws zu irgendeiner Tiermehlfabrik mit anschließender Verbrennung offenbart bodenlosen Leichtsinn. Denn der Virus wird mitgeschleppt. Der lasche Umgang zeigt sich auch bei der Einrichtung einer angeblichen Schutzzone von 3 Kilometern, die vor Ort auf 200 Meter zusammenschrumpfte. Der ungehinderte Autoverkehr und vor allem der internationale Güterfernverkehr sollten nicht gefährdet werden. Der Vergleich zu Belgien macht die Mängel offensichtlich. Dort wurde sofort ein generelles Viehverkehrsverbot nebst großflächiger Abriegelung durchgesetzt. Denn: „Ihre Ausbreitung nimmt die Krankheit (MKS) gewöhnlich entlang der großen Handels- und Verkehrsstraßen“, schrieb Seuchenexperte Dettweiler schon 1924, und die „Viehtransporte und Märkte tragen viel dazu bei“.

Die Seuchenpolitik in der EU und in Deutschland kann die Viren nicht aufhalten. Sie ist aber – dies hat die Schweinepest gezeigt und es wird jetzt auch bei der Maul- und Klauenseuche in Großbritannien deutlich – ein hochpotenter Erfüllungsgehilfe beim angestrebten Strukturwandel in der Landwirtschaft. Als Folge der Seuchenzüge kapitulieren nämlich gerade die kleinen und mittleren Betriebe. Tierseuchen „bereinigen“ den Markt und sind dabei erfolgreicher als wirtschaftliche Sachzwänge.

Angesichts der allbekannten Beständigkeit amtlicher Entscheidungen wird es nun spannend sein, zu verfolgen, wie lange noch im mittlerweile gänzlich durchseuchten Großbritannien das Keulen und Kokeln weitergehen soll. Will man im schlimmsten Fall wirklich bis zur letzten Sau die Viehbestände des Landes totschlagen und verbrennen? Schon jetzt soll das Fleisch in einigen Regionen knapp geworden sein. Und wie wird sich die Situation auf dem letztlich schutzlosen Kontinent entwickeln? Denn so viel scheint mir sicher zu sein: Die Seuche kommt, in Frankreich ist sie schon eingetroffen. Und sie wird um Deutschland keinen Bogen machen. Viren hören nun mal nicht auf politische Statements und wohlklingende Absichtserklärungen.

Es steht eine grundsätzliche Änderung der Seuchen- und Landwirtschaftspolitik in Brüssel und Berlin an: Impfen statt Keulen. Doch sind wir dieser Neuorientierung, was Berlin angeht, heute so fern wie bisher. Trotz des Amtsantritts der Ministerin Künast ist die Ablösung der Schlüsselfunktionäre nicht in Sicht. Auch ihre Vasallen in den Landwirtschaftskammern, Forschungseinrichtungen, Hoch- und Fachschulen trompeten alle in dasselbe, alte Horn. Und der Blick in die Bauernzeitungen beweist: Es hat sich nichts geändert!

Vom Allgemeinen zum Besonderen: Wenn ich die Gefahren der Seuche auf mich bezogen darstelle, dann nicht, weil ich mich besonders bedroht fühle, sondern weil ich stellvertretend auch für viele andere Landwirte die Anonymität aufbrechen will. MKS und die gegenwärtige Seuchenbekämpfung ist für mich und viele andere Betriebe eine wirkliche Existenzfrage.

Ich habe mich der Zucht und Mast von Sattelschweinen verschrieben. Sattelschweine mussten es sein, weil sie zu meiner Kindheit bei den Bauern die beliebtesten Hausschweine waren. Die modernen Hochleistungsrassen entsprechen nicht meinen Anforderungen an ökologische Freilandschweine. Die müssen auch 15 Grad minus im Freiland aushalten, dürfen nicht Gefangene des Stalls sein, weil sie rund ums Jahr 27 Grad plus benötigen – und gefilterte Luft. Außerdem wollte ich verhindern, dass Haustierarten aussterben.

Das Sattelschwein hat nur überlebt, weil es die DDR gab. Die hat sich den Luxus von Genpools geleistet, auch von alten Rassen. Doch nach der Wende war das Ende der Sattelschweine abzusehen, und so erwarb ich 1996 zwei tragende Sauen aus der brandenburgischen Genreserve in Ruhlsdorf. Im Frühjahr 1997 folgten sieben weibliche Zuchtläufer aus der mecklenburgischen Genreserve in Dummerstorf. Und 1999 nochmals drei Zuchttiere aus Ruhlsdorf. Mit diesen Tieren baute ich einen Bestand von bis zu 180 Sattelschweinen auf.

Der Umgang mit der Seuche ist lasch: Aus einer Schutzzone von 3 Kilometern wurden vor Ort 200 Meter

1999 sind sowohl die Brandenburger als auch die Mecklenburger Herde aus Kostengründen aufgelöst worden. In meinem Besitz befindet sich somit der größte Bestand an Sattelschweinen in Mecklenburg-Vorpommern. Diese Tiere und meine gesamten Bemühungen sind durch die Seuchenpolitik bedroht. Jeden Tag kann in Meck-Pomm die MKS ausbrechen. Jeden Tag können die Seuchenbekämpfer auf meinen Hof kommen und die Tiere zur Keulung abholen. Für meinen Bestand einer seltenen Schweinerasse wäre es das Ende. Anderen seltenen Haustierrassen geht es nicht besser. Nach Aussagen von Fachleuten sind gerade die Seuchenzüge einer der Hauptkiller für die Genreserve unserer Nutztiere.

Auch dies spricht für eine grundsätzlich andere Seuchenpolitik. Mit Impfprogrammen könnte man diese Tiere leicht retten. Und damit auch ihre Besitzer. Und uns allen blieben die furchtbaren Bilder der gegenwärtigen „Agrokalypse“ (Die Woche) erspart, das sinnlose Gemetzel, die Scheiterhaufen der Moderne, deren Rauch noch lange über Europa hängen wird.

TORSTEN BEHNCKE