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Getreu der Scharia

In Ägypten stößt nicht die Tat, aber immerhin das Motiv des Geiselnehmers auf Verständnis

aus Kairo ASTRID FREFEL

Einen Tag nach der Entführung von vier deutschen Urlaubern aus Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen in der ägyptischen Fremdenverkehrsmetropole Luxor konnte die Polizei gestern den Aufenthaltsort der Geiseln ausfindig machen. Der bewaffnete Entführer, ein 45-jähriger Reiseleiter mit Namen Ibrahim Ali al-Sajed Mussa, hielt die vier Männer in einer Unterkunft nahe dem weltberühmten Tempel von Karnak fest. Er verlangte die Rückkehr seiner zwei Söhne, die seine Frau nach der Scheidung 1999 mit nach Deutschland genommen hatte, und drohte damit, seine Geiseln zu töten.

Die Mutter der drei und sieben Jahre alten Jungen hatte im Januar dieses Jahres von einem deutschen Gericht das vorübergehende Sorgerecht für die beiden Kinder erhalten. Nach der Scheidung war sie vor rund eineinhalb Jahren nach Deutschland zurückgekehrt, nachdem sie für ihre beiden Söhne deutsche Reisepässe erhalten hatte. Der Geiselnehmer beschuldigt die deutschen Behörden, ihm das Besuchsrecht für seine Kinder verweigert zu haben.

Die 750 Kilometer südlich von Kairo liegende Stadt am Nil hatte 1997 traurige Berühmtheit erlangt, als bei einem blutigen Attentat muslimischer Extremisten 58 Ausländer – darunter vier Deutsche – getötet wurden. Daraufhin hatte Ägypten die Sicherheitsmaßnahmen bei allen Touristenanlagen massiv verschärft. Tatsächlich gab es seither auch keine Vorfälle mehr, bei denen Urlauber zu Schaden gekommen wären.

Erst vor wenigen Tagen wurde auch die Straße von Assuan nach Abu Simbel wieder für Touristen geöffnet. Die ägyptischen Sicherheitskräfte betonten deshalb, dass der Entführung keine politischen Motive zugrunde lägen. Nach dem Attentat in der Tempelstadt brachen die Besucherzahlen im Nilland für kurze Zeit ein. Aber bereits im letzten Jahr verzeichnete Ägypten wieder einen neuen Touristenrekord.

Mit der Wahl von Luxor für seine Geiselnahme dürfte der ägyptische Familienvater auf den hohen Aufmerksamkeitswert spekuliert haben, den der Name dieser Stadt hat. Über sein Mobiltelefon führte der Geiselnehmer nicht nur die Verhandlungen mit den deutschen Behörden, sondern hielt auch Kontakt mit zahlreichen Journalisten, denen er sein Anliegen schilderte und vor denen er seine Tat zu rechtfertigen versuchte.

In Ägypten stößt nicht die Tat, aber doch das Motiv des Entführers auf großes Verständnis. In dem muslimischen Land wird das gesamte Familienrecht auf der Basis der Scharia, des islamischen Rechtes, geregelt. Diese besagt im Grundsatz, dass der Vater mehr Rechte in Bezug auf die Kinder hat als die Mutter. Nur wenn die Kinder ganz klein sind, können sie im Falle einer Trennung der Eltern auch in Obhut der Mutter bleiben. Später, ab dem Alter von etwa zehn Jahren, kann der Vater darauf bestehen, dass die gemeinsamen Kinder bei ihm wohnen.

In der konservativen ägyptischen Gesellschaft sind diese Regeln in breiten Bevölkerungsschichten akzeptiert. Eine Umfrage hat kürzlich ergeben, dass drei Viertel der Befragten es ablehnen, dass eine Frau ohne Zustimmung ihres Mannes einen Pass bekommt, und gar 90 Prozent befanden, Frauen dürften nur mit Zustimmung ihres Mannes reisen.

Familienstreite um das Sorgerecht von Kindern aus gemischten Ehen sind in islamischen Ländern deshalb keine Einzelfälle und Entführungen von Kindern keine Seltenheit. Sie gehören zum Arbeitsalltag der ausländischen Botschaften in diesen Staaten. Meist bleibt der Zwist aber in der Familie und zieht nicht wie im jüngsten Fall auch noch Unbeteiligte mit hinein.

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