Zwei verlorene Jahre

Die Stiftungsinitiative hat sich gründlich geirrt: Im Grad erreichbarer Rechtssicherheit und in der Bereitschaft deutscher Firmen, in den Fonds einzuzahlen

von CHRISTIAN SEMLER

Was flehentliche Bitten, was öffentliche Anklagen, was die Drohung mit dem Pranger in Deutschland nicht erreicht hatten, das bewirkte der Spruch der New Yorker Richterin Shirley Kram von vergangener Woche. Die Weigerung der alten Dame, die Klagen vermögensgeschädigter jüdischer US-Bürger gegen deutsche Banken „einvernehmlich“ abzuweisen, führte zur plötzlichen Vermehrung des Kontos der Stiftungsinitiative zur Entschädigung der Zwangsarbeiter. Jetzt endlich haben die 16 Gründungsmitglieder sich bereit erklärt, für die von den versprochenen 5 Milliarden der Wirtschaft noch fehlende Summe notfalls zu bürgen. Druck aus den USA hat am Anfang der Stiftungsinitiative gestanden und Druck steht an ihrem nun doch noch erfolgreichen Ende.

Waren wirklich zwei für die ehemaligen Zwangsarbeiter verlorene Jahre notwendig, um zu dem jetzigen Ergebnis zu kommen? Im April 1999 erklärten die Gründungsstifter, sie strebten nicht absolute, sondern hinreichende Rechtssicherheit gegenüber künftigen Entschädigungsklagen vor amerikanischen Gerichten an. Tatsächlich aber wurde in den Verhandlungen auf garantierter Rechtssicherheit bestanden. Die deutschen Firmen werden sich schließlich damit abfinden müssen, dass auch künftige Klagen nicht schon im Vorfeld abgeschmettert werden, dass das von der amerikanischen Regierung gegebene „statement of interest“ zugunsten der Bundesstiftung in jedem anhängigen Rechtsfall neu bewertet werden muss. Dieses Ergebnis hätten die Stifter schon lange haben können.

Aber nicht nur im Grad erreichbarer Rechssicherheit haben sich die Stiftungsgründer geirrt, sie täuschten sich vor allem über die Bereitschaft der meisten deutschen Unternehmer, in den Fonds einzuzahlen. Sie täuschten sich, als sie glaubten, alle ehemaligen deutschen Nutzer von Zwangsarbeit wären bereit, ihr Scherflein zu einen humanitären Akt beizutragen, der ökonomisch gesehen doch nichts anderes war als ein Akt kollektiver Imagepflege der deutschen Industrie. Woher rührt diese Fehleinschätzung, die selbst einen gestählten Vertreter des realen Gesamtkapitals, den Grafen Lambsdorff, die Contenance verlieren ließ?

Man muss sich vor Augen halten, dass die meisten Unternehmer dem Fetisch von der Stunde Null anhängen, die angeblich 1948, mit der Währungsreform, begonnen hat. Was davor lag, ist dunkle Vorgeschichte, was danach kam, der steile Aufstieg, ist die eigentliche deutsche Unternehmensgeschichte. Daran ändern auch die vereinzelten Firmenchroniken nichts, die jetzt, spät genug, auch der Zeit vor 1945 einige Kapitel widmen. Deshalb, wegen dieses fiktiven Geburtsdatums, glaubt sich die heutige deutsche Unternehmerschaft unschuldig daran, dass irgendwer irgendwann Sklaven- und Zwangsarbeiter einsetzte. Und gibt es ein widerwilliges Eingeständnis, dann sind diese Irgendwers von den Nazis gezwungen worden, die unwillkommenen Arbeitskräfte einzusetzen. Deshalb bleibt auch im Dunkeln, welchen ökonomischen Nutzen eigentlich der Einsatz dieser Zwangsarbeiter für Industrie und Landwirtschaft stiftete, in welchem Maße der Wiederaufstieg nach 1945 auf dieser Arbeit beruhte. Das Prinzip nicht historischer Schuld, sondern historischer Verantwortung, das zu Recht von der heutigen deutschen Bevölkerung eingefordert wird – die deutsche Industrie will sich zu ihm nicht bekennen. Das ist die Lektion aus dieser quälenden Geldsammelaktion, über die keiner der erleichterten Seufzer hinwegtäuschen kann.