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Wissensvermitlung pur

Die öffentliche Debatte über Gewalt und Rechtsradikalismus bietet den Schulen große Chancenfür Reformen. Aber werden sie auch genutzt? Teil I der Serie „Provos, Pauker, Pädagogen“

von HOLGER KLEMM

An der Hans-Grade-Oberschule in Berlin-Treptow sind Springerstiefel seit dem ersten Januar verboten. Eine Entscheidung, die für Schlagzeilen sorgte. Weil sich etwas bewegte. Weil – wie sinnvoll auch immer – einmal Konsequenzen gezogen wurden. Weil den allzu häufig nur schönen Worten und Absichtserklärungen Taten folgten. Fraglich ist zwar, ob Schüler mit den Springerstiefeln ihre rechte Gesinnung außerhalb des Klassenzimmers lassen. Und auch, ob es für Lehrer zumutbar ist, dass eventuell die halbe Klasse in Socken büffelt. Aber deutlich wird: Schulen werden kreativ.

Die Schulgesetze in den neuen Ländern schreiben die Persönlichkeitsbildung schon in den ersten Paragrafen fest. Was fehlt, sind die Ausführungsbestimmungen. In der Praxis ist Wissensvermittlung vorherrschend. In Sachsen zum Beispiel verstehe der Kultusminister die Schulen eher als Leistungsmaschinen, opponiert die jugendpolitische Sprecherin der SPD, Barbara Ludwig. Eine Überarbeitung des Gesetzes sei dringend nötig. Doch ihr Entwurf, erarbeitet 1999 und mit breiten Schichten der Gesellschaft diskutiert, habe im schwarzen Freistaat keine Chance. Berlin und Brandenburg sehen größeren Handlungsbedarf. In den vergangenen zwei Jahren wurden von den Landesregierungen neue Gesetze auf den Weg gebracht. Das Brandenburger steht kurz vor der Verabschiedung, der Berliner Senat stellt seinen Neuentwurf noch im Laufe des Monats vor.

Außer in der Hauptstadt wurden die Gesetze kurz nach der Wende entworfen und waren oft genug als Kontrapunkt zur bisherigen Schulerziehung gedacht. Aber sie konnten die folgenden Entwicklungen noch nicht vorausahnen, weder die Dominanz rechter Jugendkulturen noch die der neuen Medien. Selbst mit neuen juristischen Verordnungen im Rücken werden Fachlehrer noch nicht zu persönlichen Beratern der Schüler. Und die meisten Pädagogen haben ihr Studium unter Margot Honeckers Regie abgeleistet – mit welcher Motivation auch immer. Sinkende Schülerzahlen verhinderten in den letzten Jahren häufig die Beschäftigung junger, engagierter Lehrer. Und der demografische Trend geht weiter. Der Lehrerüberhang im Osten steigt.

Die Erziehung zu Toleranz und Demokratie, zu selbstbestimmtem Lernen und Selbstbewusstsein verlangt eine professionelle Methodik und Didaktik. Und auch das Gespür, wann es wichtiger ist, auf Konflikte und Themen der Schüler einzugehen, als das Periodensystem der Elemente durchzupauken.

Annegret Ehmann, Geschäftsführerin der Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule Brandenburg e. V. (RAA), beklagt die starren Strukturen, die eine Neuorientierung der Schulen verhindern. „Der 45-Minuten-Takt ist tödlich. Da ist Frontalunterricht vorprogrammiert.“ Und der mache Lehrer zu Einzelkämpfern.

Klar, dass dann kollegialer Austausch die Ausnahme bleibt. Hinzu kommt der Druck, unter dem Lehrer stehen. Sie werden oft und von vielen Seiten schlecht gemacht. Neben den per se aufreibenden dreiviertelstündigen Leistungsshows müssen Pädagogen ihre Arbeit an den politischen Vorgaben messen und rechtfertigen – vor Schülern, Eltern, der Schulleitung und – und gelegentlich auch vor sich selbst. Höhere Schülerzahlen pro Klasse können ebenso demotivieren wie mehr Unterrichtsstunden.

Fortbildung wird gern als Ausweg aus dem Dilemma gesehen. Doch die ist freiwillig und schrumpft, wie in Sachsen, auf wenige Tage pro Jahr. Intensive halbjährige Kurse mit Teilfreistellung sind die Ausnahme. Wie sieht es mit den Seminarinhalten aus? Die drehen sich eher ums Internet als um die Vermittlung von Toleranz. Auch die rechtliche Handhabe ist für die Lehrer seit elf Jahren eine andere. War früher bei vermuteter Vernachlässigung eines Kindes durch die Eltern ein Anruf im Jugendamt üblich, geht heute nichts mehr ohne Zustimmung der Eltern. Für die längst noch nicht abgeschlossene Umstellung brauchten die Lehrer eine Auszeit. Aber der Bildungsbetrieb – vielleicht doch eine Maschine? – muss ja weiterlaufen.

Es ist fraglich, ob es für den erzieherischen Auftrag der Schulen förderlich ist, dass die Ministerien für Kultus oder Bildung getrennt von denen für Soziales und Jugend arbeiten. Auch, ob die absolute Länderhoheit in Bildungsfragen der Absicht gerecht wird, Persönlichkeitserziehung zu fördern. Eine breite gesellschaftliche Debatte über die Prävention von Gewalt und Intoleranz innerhalb der Schulen kommt nur langsam in Gang. Können das Lehrer allein schaffen? Sind Modelle, bei denen sich Eltern am schulischen Erziehungsauftrag stärker beteiligen als bisher, überhaupt erwünscht? Und wie holt man jene Väter und Mütter ins Boot, die alle Erziehungsverantwortung auf die Schule abschieben? Die Änderung von Schulgesetzen, das öffentliche Bewusstsein der Notwendigkeit von Persönlichkeitsbildung sowie die Diskussion über den Umgang mit rechter Gewalt können der Schule helfen, aus ihrer zum Teil selbst auferlegten Starre herauszukommen und ein Ort lebenspraktischen Lernens zu werden.

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