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Mehr als ein symbolischer Akt

Die Bundesregierung soll ihre Mitschuld an den Giftgasangriffen auf irakische Kurden einräumen und Wiedergutmachung leisten, fordert ein PDS-Antrag heute im Bundestag

HALABJA/MÜNCHEN taz ■ Der Bundestag erkennt die Mitverantwortung Deutschlands für den irakischen Giftgasangriff auf Halabja an. Das jedenfalls wünscht die PDS-Fraktion, die heute einen entsprechenden Antrag im Bundestag stellen wird. Der Einsatz von C-Waffen gegen die kurdische Kreisstadt im Nordirak sei als Völkermord zu werten, fordert sie. Der Antrag wird keine Chance haben – obwohl sein Anliegen ernst zu nehmen ist: Bei der Bombardierung Halabjas mit Giftgasbomben am 16. März 1988 starben mindestens 3.000 Menschen, tausende erlitten schwere Verletzungen. Das Know-how für die Bomben hatte sich der Irak aus der Sowjetunion und dem Westen verschafft. Als besonders eifrige Exporteure erwiesen sich deutsche Firmen, die zusammen etwa 70 Prozent der Anlagen für die irakischen Giftgasfabriken lieferten. Obwohl UN-Inspekteure Anfang der 90er-Jahre Belege für die deutschen Exporte lieferten, gingen die Firmen großteils straffrei aus. Angeblich wussten sie nichts vom tödlichen Zweck ihrer Lieferungen.

„Die Bundesregierung muss den Überlebenden humanitäre Hilfe leisten, von den beteiligten Firmen erwarten wir Entschädigungszahlungen“, fordert die PDS-Abgeordnete Ulla Jelpke.

Untersuchungen des „Halabja Post-Graduate Medical Institute“ haben ergeben, dass über die Hälfte der heute 50.000 Einwohner von Halabja an Spätfolgen des Giftgaseinsatzes leidet. Neben Atemwegs- und Herzerkrankungen, Asthma, Allergien sowie Lungenkrebs sind in den letzten Jahren die Fälle von Hautkrebs und Leukämie überproportional gestiegen. Nirgendwo ist die Zahl der Fehlgeburten so hoch wie hier. Besonders alarmiert sind die Ärzte jedoch über die hohe Zahl an Missbildungen bei Neugeborenen – Kinder mit Schädeldeformationen, offenem Rachen oder fehlenden Gliedmaßen. „Das Schlimmste ist, dass wir den Frauen nicht helfen können“, sagt Dr. Adil Kerim Fatah, Direktor des Krankenhauses, im Gespräch mit der taz. Da sich der Irak geweigert hat, sein C-Waffen-Programm vollständig aufzudecken, liegt die genaue Zusammensetzung der verwendeten Giftgaskomponenten noch immer im Dunkeln. Ohne dieses Wissen, sind effektive Therapien jedoch nicht möglich. „Deutschland muss die Opfer entschädigen“, fordert Dr. Fatah.

Auch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch unterstützen den Antrag. Während der so genannten Anfal-Feldzüge habe das irakische Regime systematisch Giftgas eingesetzt. Im Verlauf der Feldzüge zwischen Februar und August 1988 wurden mehrere tausend Dörfer zerstört, ihre Bewohner deportiert. Die 182.000 Verschwundenen werden in Massengräbern im Südirak vermutet. Nach Durchsicht von irakischen Polizeidokumenten, die den Kurden 1991 in die Hände fielen, glaubt die Organisation genügend Beweise für eine Anklage wegen Völkermords zu haben. Trotzdem gelang es ihr nicht, eine europäische Regierung für ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu gewinnen – auch Deutschland winkte ab. INGA ROGG

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