: Die Polizei kann feiern
Gleich drei runde Jubiläen hat Dienstherr Otto Schily in diesem Jahr zu begehen: Bundeskriminalamt, Bundesgrenzschutz und die Bereitschaftspolizeien der Länder werden fünfzig. Eine Gratulation
von OTTO DIEDERICHS
Immer randvoll ist der Terminkalender eines Bundesinnenministers. Wirklich Erbauliches findet sich darin eher selten. In diesem Jahr ist das anders. Gleich drei Jubiläen sind dort vermerkt, zu denen Otto Schily (SPD) früher keine Einladungen erhalten hätte.
Doch die Zeiten gegenseitiger Abneigung sind längst Geschichte. Als oberster Dienstherr wird Schily nun Ehrengast beim fünfzigjährigen Bestehen des Bundeskriminalamtes und des Bundesgrenzschutzes sein. Auch die Bereitschaftspolizeien der Länder werden Grußadressen erhalten. Geübt hat Schily für seine Lobreden im letzten Herbst schon. Da versicherte der Minister dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln, im Kampf gegen Links- und Rechtsextremismus trage das Amt „eine herausragende Verantwortung“ und sei „in der Tat ein Frühwarnsystem für unsere Gesellschaft“.
Auch wenn die früheren Grenzen zwischen geheimdienstlicher und polizeilicher Arbeit zunehmend durchlässiger werden, so umstritten wie Geheimdienste sind Polizeibehörden nicht. Doch auch in der Geschichte der Polizei gibt es so manches, an das zu erinnern lohnt, weil es sonst niemand tun wird.
Der erste Jubiliar auf der diesjährigen Gratulationsliste ist das Bundeskriminalamt (BKA). Am 8. März 1951 trat das BKA-Gesetz in Kraft, als Sitz des Amtes wurde Wiesbaden bestimmt. Zunächst allerdings mussten die 231 Bediensteten der neuen Behörde ihre Unterkunft noch in einer umgebauten Jugendherberge nehmen, bevor im Jahr darauf die ersten Neubauten bezogen werden konnten. Danach ging der Aufbau behende: „Sicherungsgruppe Bonn“ 1951, Kriminaltechnik 1952, Abteilungen für Auswertung und Ermittlungen 1953.
1973 wurde das BKA dann zur Zentralstelle der Verbrechensbekämpfung ernannt. Seine Hauptaufgabe bestand fortan in der Sammlung, Auswertung und Koordination der Erkenntnisse der Länderpolizeien. Damit stand die Behörde nun den elf Landeskriminalämtern der alten Bundesrepublik vor. Zugleich wurde sie zur Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund und Nationales Zentralbüro der Interpol.
Begonnen hatte das elektronische Zeitalter in Wiesbaden indes schon zwei Jahre zuvor unter BKA-Präsident Horst Herold. Bis hin zur Bessenheit nahm Herold die heutige Computerbegeisterung 1971 vorweg. Noch im November jenes Jahres konnte die erste Ausbaustufe des bundesweiten Inpol-Systems in Betrieb genommen werden. 1976 waren daran bereits über siebenhundert Datenendstationen angeschlossen, davon dreißig unmittelbar und der Rest über Rechner auf Länderebene. „Auf Knopfdruck kann ich Zusammenhänge feststellen“, so Herolds Vision, „wie Fingerabdrücke und Vererbung, Körpergröße und Verbrechen. [. . .] Aber ich kann auch Zusammenhänge feststellen wie Ehescheidung und Deliktshäufigkeit, Trinker und das verlassene Kind. [. . .] Ich kann ständig wie ein Arzt [. . .] den Puls der Gesellschaft fühlen . . .“
Ganz so kam es dann zum Glück doch nicht. Als Herold 1981 abgelöst wurde, kehrten seine Nachfolger wieder stärker zu polizeilicher Handarbeit zurück. Die wichtigeren Entwicklungen fanden inzwischen ohnehin außerhalb der Behörde statt. Mit geradezu inflationärem Eifer begann die Gesetzesmaschinerie immer neue Polizeigesetze auszuspucken. Hinzu kam in den Neunzigerjahren der Aufbau der europäischen Polizeibehörde Europol, die die Jungs vom BKA am liebsten gleich in Wiesbaden angesiedelt hätten. Doch die Europolzentrale wurde nach Den Haag verlegt und das BKA zum Nationalen Zentralbüro.
Immerhin wurde mit Jürgen Storbeck ein Mann aus dem eigenen Haus der erste Chef von Europol. Mit dem von den europäischen Polizeien gemeinsam betriebenen „Schengen Informations System“ (SIS) kam auch in die Datenverarbeitung wieder neuer Schwung. Die weitaus meisten Eingaben und Abfragen im SIS kommen aus der Bundesrepublik. Das meiste hiervon wird auch Otto Schily wohl noch einmal Revue passieren lassen. Nicht reden wird er dagegen über die braunen Flecken in den Anfangsjahren des BKA. Nicht nur Paul Dickopf, der erste Präsident, hatte eine Karriere bei diversen Sicherheitseinrichtungen der Nazis vorzuweisen.
Doch bevor die ministerielle Gedächtnisschwäche auffallen könnte, ist Schily schon mitten in seiner Laudatio auf den Bundesgrenzschutz (BGS). Beim Aufbau einer neuen Polizei orientierten sich die Politiker seinerzeit in starkem Maße am Organisationsmodell der Weimarer Republik. Ein Staat, „der nach außen keine Macht hat und sie auch nach innen nicht schafft, ist kein Staat“, lautete ihr Motto. Umgehend machten sie sich also wieder an die Aufstellung einer Truppenpolizei. Am 28. Mai 1951 rückten die ersten 1.800 Mann „Rahmenpersonal“ in eine Unterkunft in Schleswig-Holstein ein. Geplant auf eine Gesamtstärke von rund zehntausend Mann, waren die ersten Verbände zum Jahresende aufgestellt. Geführt von ehemaligen Wehrmachtsangehörigen und ausgerüstet mit Maschinengewehren, Panzerfäusten und Granatwerfern, übte sich die neue Truppe alsbald im ganzen Lande in Bürgerkrieg.
Bei Übungseinsätzen gegen „bewaffnete Störer“ im Raum Hannover (November 1951) oder „Unruhen im Ruhrgebiet“ (September 1952) machte sie sich die Kriegserfahrungen ihrer Offiziere wieder zunutze. Zog der Grenzschutz abends in die Kasernen zurück, schallte auch schon einmal „Es zittern die morschen Knochen“ über das Feld. Diese frühen Jahre wird der Minister übergehen. Als sich im Frühjahr 1956 die Möglichkeit eröffnete, beim Aufbau der Bundeswehr dabei zu sein, überführte sich der BGS zu 68 Prozent gleich verbandsweise in die richtige Armee. Schlimm war das nicht, denn flugs baute man die Truppe neu auf.
Mit den Notstandsgesetzen von 1968 eröffnete sich die Möglichkeit, unter gewissen Voraussetzungen die Kollegen von der Bundeswehr auch im Innern einzusetzen. Damit war die ganz wilde Zeit des BGS vorbei. Die schweren Waffen wurden gegen Wasserwerfer, Gummiknüppel und Tränengas getauscht, der BGS in Richtung Polizei umgebaut. Zusehends verschob sich dabei auch der Auftrag der Grenzsicherung hin zu einer Eingreifreserve des Bundes. Seit 1972 gibt es kaum mehr eine Großdemonstration ohne BGS.
Zu einer Sinnkrise kam es erst durch den Abbau der EU-Binnengrenzen. Massiver Personalabbau drohte. Außer der Übernahme neuer Aufgaben in Konkurrenz zu anderen Sicherheitsbehörden oder einer Verstärkung des Auslandsengagements im Rahmen von UN-Missionen fiel den Zukunftsplanern nichts Rechtes ein. Erleichtert nahmen die abwicklungsbedrohten Grenzer daher 1990 die deutsch-deutsche Vereinigung auf. Das Sicherheitsvakuum im „wilden Osten“ sicherte der Truppe eine neue Perspektive.
1992 trugen rund 24.500 Beamte den Rock des BGS. Neben der Sicherung der neu entstandenen Armutsgrenze im Osten übernahm der BGS in der Ex-DDR auch gleich bahnpolizeiliche und Luftsicherungsaufgaben. Ab 1992 wurden Organisation, Aufgaben und gesetzliche Grundlagen mehrfach geändert und endgültig den polizeilichen Strukturen angeglichen. Und 1995 kamen die Grenzer schließlich auf den Gleisen der Bahn zurück in den Westen. Seither sind BGSler auch im Inland überall dort zu finden, wo es einen Flugplatz oder einen Bahnhof gibt. Und auch zur Bekämpfung des Rechtsextremismus bietet Schily die Damen und Herren im tannengrünen Zwirn unterdessen überall an.
Von so viel Erfolgsbesoffenheit kaum wieder nüchtern, muss der Bundesinnenminister sogleich zur Feier in die Polizeiabteilung seines Ministeriums. Am 5. Juli 1951 rückte mit den ersten Bereitschaftspolizisten gleich die nächste Truppenpolizei in eine Kaserne bei Eckernförde ein. Der Aufstellung dieser kasernierten Polizei im Nachkriegsdeutschland war ein längeres Tauziehen mit den Alliierten vorausgegangen. Es endete mit einem Kompromiss, bei dem Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) jedoch von seiner Wunschvorstellung einer 25.000 Mann starken „Bundesgendarmerie“ Abstand nehmen musste. Stattdessen erhielt er im Sommer 1950 grünes Licht für die Aufstellung einer „mobilen Polizeiformation von insgesamt zehntausend Mann in den verschiedenen Ländern“.
Bewirkt hatte den Sinneswandel der Militärgouverneure jedoch weniger die Bonner Nörgelei als vielmehr die Aufstellung kasernierter Volkspolizeieinheiten in der damaligen sowjetischen Besatzungszone. Doch sofort gerieten die Länderinnenminister in Streit darüber, welche Kompetenzen der Bundesregierung bei der neuen Truppe eingeräumt werden sollten. Schließlich hatte Adenauer genug von dem Gezerre und lud die Minister zu einer generalstabsmäßig vorbereiteten Besprechung nach Bonn. In deren Verlauf überrumpelte er sie mit der Ankündigung, man habe ihm die Rekrutierung von fünftausend Mann für eine Bundeseinheit gestattet. Die faustdicke Lüge hatte Erfolg. Flugs unterzeichneten die Herren ein Musterabkommen über die Bereitschaftspolizei (Bepo), welches 1971 und 1991 modifiziert wurde.
Zwar konnten ihre Hundertschaften von Anbeginn auch bei besonderen Anlässen wie Kirchentagen oder Katastrophen herangezogen werden, ihre eigentliche Aufgabe war jedoch stets eine andere. Als Einsatzlage galten Situationen, „in denen bewaffnete Störer [...] dem polizeilichen Handeln aktiven Widerstand entgegensetzen, der nur durch Gewalt (= Kampf) gebrochen werden kann“. Demonstrationen spielten damals noch keine Rolle. Ihre Bedeutung beginnt erst mit den Studentenprotesten Ende der Sechzigerjahre. Wie der BGS war die Bepo hierfür jedoch falsch ausgerüstet. So wurde sie ab 1972 umgestaltet und ist seither die Eingreif- und Personalreserve der Länderpolizeien. Auf eine schnell verfügbare Polizeitruppe als Politikersatz wollten nach dem Zusammenbruch der DDR auch die fünf neuen Bundesländer nicht verzichten. Im Juni 1991 wurden in Leipzig die ersten Neu-Bepos vereidigt.
Wenn Innenminister Schily schließlich an seinen Schreibtisch zurückkehrt, ist der Terminkalender noch dicker geworden. Viel ist liegen geblieben in den letzten Tagen. Doch nun hat er erst einmal wieder viel Zeit. Erst 2006 stehen beim Bundesnachrichtendienst und beim Militärischen Abschirmdienst die nächsten großen Feten an.
OTTO DIEDERICHS, 50, ist freier Journalist und lebt in Berlin
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