: Wenn Pfizer heimlich tödliche Pillen testet
Im Norden Nigerias nährt ein Pharmaskandal Misstrauen gegen westliche Medizin. Jetzt breitet sich Meningitis aus
LAGOS taz ■ Es ist heiß, dicht bevölkert und schmutzig – ein Nährboden für die Bakterien, Viren und Pilze, die Meningitis hervorrufen. Im Nordwesten Nigerias hat die Hirnhautentzündung in den vergangenen Wochen ungefähr 200 Kinderleben gefordert. Städte wie Sokoto, Kano und umliegende Regionen sind von dem Ausbruch der Meningitis betroffen, die vor allem Kinder und Jugendliche befällt.
Schon 1996 gab es in derselben Region eine Meningitis-Epidemie, die mehrere tausend Menschen in ganz Westafrika tötete, zumeist Kinder. Auch die neue Epidemie ist grenzüberschreitend. In Nigeria ist sie besonders schwer zu kontrollieren, weil die Bevölkerung das Vertrauen sowohl in staatliche Gesundheitsbehörden als auch in private Hilfswerke verloren hat. Nicht genügend Familien erscheinen zu Impfkampagnen oder zur Behandlung.
Sie sind irritiert unter anderem von dem vor kurzem aufgedeckten Skandal, dass das US-Pharmaunternehmen Pfizer während der letzten Meningitis-Epidemie ohne Erlaubnis ein Medikament testete. Eltern in Kano brachten ihre Kinder zu Medizinstationen, von denen sie dachten, sie wären vom Hilfswerk „Ärzte ohne Grenzen“ geleitet. Doch in mindestens einer Station, dem Aminu Kano Teaching Hospital, ließen die zumeist nicht lese- und schreibkundigen Eltern ihre Kinder in der Obhut von Angestellten des Pfizer-Konzerns. Es wird geschätzt, dass Pfizer sein Medikament „Trovan“ bei 100 meningitiskranken Kindern anwandte.
„Trovan“ ist ein Antibiotikum, das zuvor auch in den USA und anderswo zum Einsatz kam – allerdings in einer schnell wirkenden, gespritzen Form. In Nordnigeria wurde dagegen eine weniger erforschte, oral eingeflößte Variante von „Trovan“ eingesetzt. Mittlerweile sind beide Formen des Medikaments in der westlichen Welt verboten, weil es zu schweren Leberschäden und anderen Nebenwirkungen führen kann, die bei einigen Patienten zum Tod führten.
Die Vertretung des Pfizer-Unternehmens in Nigeria hat seither noch keine Stellungnahme abgegeben. Das Unternehmen rechtfertigt seine Handlungen bislang damit, dass es schon vor dem Ausbruch der Meningitis-Epedimie von 1996 eine behördliche Erlaubnis hatte. Doch die heute zuständigen Stellen haben dieses Dokument jetzt als Urkundenfälschung verworfen. Die US-Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) schreibt US-Unternehmen vor, bei Testprogrammen eine Erlaubnis von einer Ethikkommission einzuholen; eine solche Kommission existierte aber 1996 am Aminu Kano Teaching Hospital nicht. Und trotzdem bekam Pfizer eine Erlaubnis.
Nun laufen im zumeist islamischen Norden Nigerias Gerüchte um, dass westliche Firmen Impfstoffe mit Krankheitserregern versetzt haben. Vor allem geistliche und traditionelle Führer verunsichern mit solchen Äußerungen die Menschen. Seit der forcierten Einführung der Scharia, des islamischen Strafgesetzes, im vergangenen Jahr, befindet sich der Norden Nigerias in einer Phase religiöser Radikalisierung, und Propaganda hat Hochkonjunktur.
So hat der „Rat der Ulama“ in Kano, ein Kreis islamischer Würdenträger, westliche Hilfswerke zum Verlassen der Region aufgefordert. Organisationen, die sich dem Kampf gegen Aids verschrieben haben, wird vorgeworfen, dass sie mit dem Verteilen von Kondomen erst recht sexuelle Aktivitäten der Jugendlichen provozieren. Und Helfer des UN-Kinderhilfswerks Unicef stießen während einer Impfkampagne gegen Kinderlähmung auf die Überzeugung, dass die Kinderlähmung-Schluckimpfung auch den HI-Virus verbreite.
HAKEEM JIMO
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