Sie küssen und sie kürzen sie

■ Egal ob der Kanzler Kohl oder Schröder heißt: Die Bundesregierungen loben die Soziokultur. Aber unten in den Kommunen wird den Kulturzentren Jahr für Jahr der Zuschuss gestrichen. Jetzt fordern sie gleiches Recht für alle

Auch die Bremer Grünen reden jetzt über Kulturentwicklung. Doch anders als die große Koalition rollt die Opposition das Feld sozusagen von hinten auf. Während Kultursenator Bernt Schulte (CDU) in seinen Gesprächen über den so genannten Rahmenplan zur Kulturentwicklung die laut CDU-Fraktionschef Jens Eckhoff ganz bewusst gesetzte Prioritätenliste von oben abklappert (Museen – absolut oberwichtig, Musik – auch wichtig, Theater – ziemlich wichtig ...), steigen die Grünen „unten“ ein: Ihr Thema „Aufbrüche in der Soziokultur“ lockte am Montagabend die übersichtliche Schar Bremer Soziokultur-Profis in den Turm des Schlachthofs.

Von draußen tönt Musik des kurdischen Neujahrsfestes hinauf. Unten in der Kesselhalle plant die verjüngt wiederbelebte Anti-Akw-Bewegung den Protest gegen Castor-Transporte. Ein paar hundert Meter weiter steht ein Zirkuszelt. Und noch ein paar Meter weiter strömt das Publikum in die Stadthalle zum „Riverdance“-Stepptanz, der seine Ursprünge der Legende nach bei frierenden irischen KirchgängerInnen haben soll. So ist an diesem Abend auf der Bremer Bürgerweide alles irgendwie Sozio. Und genau das ist das Problem für Brodelpott, belladonna und Lagerhaus in Bremen, für die Fabrik in Hamburg oder auch für die Essener Zeche Carl, aus der die Grünen den auswärtigen Gast des Abends eingeladen hatten.

„Die Steigerung der politischen Anerkennung steht in keinem Verhältnis zur finanziellen Situation“, sagt Willi Overbeck, der in den 70er Jahren gegen den Abriss einer alten Zeche in Essen mitgekämpft hat und seit 22 Jahren Vorsitzender des dort untergebrachten soziokulturellen Zentrums Zeche Carl ist. Der engagierte Pfarrer aus dem Ruhrgebiet zitiert Antworten der abgewählten und der amtierenden Bundesregierung auf Parlamentsanfragen, die sich beide zur Soziokultur bekennen. Doch dann stellt er die kommunalen Finanzdaten dagegen, nach denen es dieser aus Kulturförderung, Bildungs- und Sozialarbeit gemischten Sparte finanziell immer schlechter geht: Von 1995 bis 1998 ist die Förderung pro BesucherIn bundesweit von 7,39 auf 5,72 Mark pro Jahr gesunken und seither wohl nicht gestiegen. Der Anteil der öffentlichen Förderung am Gesamtumsatz von 315 Millionen Mark in allen 319 soziokulturellen Einrichtungen schrumpft genauso wie der Anteil fest angestellter MitarbeiterInnen. Und all das trotz weiter steigender Besucherzahlen. Bremen weicht da nicht vom Trend ab. Eine Kürzung von 4,9 Millionen auf 3,2 Millionen Mark von 1996 bis heute haben Barbara Hirsch und Maren Bock von der ehrenamtlichen Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur für ihren Bereich ausgerechnet. Dagegen wurden die Zuschüsse in anderen Einrichtungen wie dem Bremer Theater, der Shakespeare Company oder der Kunsthalle in der gleichen Zeit erhöht.

Sind die Forty- bis Fiftysomethings aus der Soziokultur, deren Publikum laut Overbeck ausdrücklich nicht mit den GründerInnen der Einrichtungen mitaltert, die Betrogenen? Sind sie bloß, wie ein Redner sagt, die „nützlichen Idioten im Kampf gegen Rechts, deren kulturelle Arbeit aber in den Kommunen nicht anerkannt wird“? Die grüne Kulturpolitikerin Helga Trüpel und der Aktivist in der Kulturinitiative „Anstoß“, der ehemalige SPD-Bildungssenator Horst von Hassel, appellieren an die Solidarität in der Kulturszene und greifen erneut die Sanierungspolitik des Senats an. Die Aktiven vom Frauenkulturzentrum belladonna, Lagerhaus oder Kunstverein Kubo fordern dagegen schon jetzt gleiches Recht für alle, also endlich Tarifsteigerungen auch in ihrem Bereich. Und Willi Overbeck denkt laut darüber nach, die „Streitkultur der 70er Jahre“ wieder aufleben zu lassen, in der sein Zeche-Carl-Verein und all die anderen sehr viel kämpferischer aufgetreten sind.

Allein es geht nicht bloß um den Streit um staatliche Förderung. Es geht um das Spannungsfeld zwischen neuen kulturellen Regungen und Kommerzialisierung. „Ich habe die Knebels, die Missfits und all die anderen heutigen Millionäre bei uns spielen sehen, als die noch keiner kannte“, sagt Willi Overbeck. Nun soll die Zeche Carl von den Rising Stars selbst profitieren. Das Land Nordrhein-Westfalen fördert die „Ethno Art Ruhr“. Das ist eine neue Agentur, die sich als Talentförderungsgesellschaft für MigrantInnen nach fünf Jahren selbst finanzieren und dabei auch noch Geld für die Zeche abwerfen soll. Wenn's denn gut geht.

Das ist nur einer der „Aufbrüche in der Soziokultur“, über die geredet werden sollte. „Wir“, sagt Maren Bock von belladonna, „turnen seit Jahren einen Spagat zwischen Kommerzialisierung und dem Erhalt von Bewährtem.“ Gespräche, wie die belladonnas sie jetzt mit der Handelskammer führten, wären vor Jahren undenkbar gewesen. Auch Overbeck redet mit möglichen SponsorInnen und findet es ganz bemerkenswert, was die Herren von der Deutschen Bank über gesellschaftliche Entwicklungen denken.

So sind die Leute von der Soziokultur weniger aufmüpfig geworden und haben sich, wie Maren Bock sagt, längst professionalisiert. Allein die Kulturpolitik gibt ihnen allen Grund zum Wieder-aufmüpfig-werden: Bis heute gibt es die in der jahrelangen Diskussion versprochene Planungssicherheit und die angekündigten Zielvereinbarungen nicht, schimpft Anselm Züghart vom Lagerhaus. Andere halten die Rangfolge im Kulturentwicklungsplan für absolut inakzeptabel. Einfach harmonisch wird's also nicht werden, wenn Schulte in der nächsten Woche fast das gleiche Personal zum Kulturentwicklungsgespräch über Soziokultur einlädt. ck