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Das Geheimnis des Eremiten

Unter wechselnden Pseudonymen singt Will Oldham seine abgründigen Moritaten aus der Provinz. Das macht die Suche nach der wahren Person hinter der todtraurigen Stimme nur noch aussichtsloser

von THOMAS WINKLER

Es ist diese Stimme. Einerseits tonlos, sich kaum verändernd, nur selten modulierend. Andererseits beschwörend, intensiv, seelenvoll. Fast körperlos, kalt kommt sie daher. Nicht schwebend, sondern eher taumelnd, unsicher einen Fuß vor den anderen setzend. So erzählt die Stimme Geschichten von biblischer Kraft. Geschichten vom Verlassen und Verlassenwerden und Verlassensein. Von Einsamkeit und Wahnsinn. Von Mord und Inzest. Von Sex und auch von Liebe.

Der Körper dagegen, aus dem diese Stimme dringt, ist schmächtig, herzlich durchschnittlich, heißt Will Oldham und scheint sich selbst nicht ganz sicher zu sein, wie das sein kann mit dieser Stimme. Dieser Stimme, die auch auf „Ease Down The Road“, ihrem neuen Album unter dem Pseudonym Bonnie Prince Billy, Moritaten erzählt, die bevölkert sind mit zu Tode gebrachten Menschen, von Liebe voller Verzweiflung berichtet und sich dabei einig wähnt mit Gott.

Oldham selbst hat sich als Einsiedler bezeichnet. Mit Bart sieht er aus wie ein Waldschrat oder wie ein früh gealterter Gymnasiast. Es gibt viele obskure Geschichten über ihn. Manchmal wird erzählt, er sei ein durch und durch depressiver Mensch, der sich nur zum Musikmachen aus einer Garage wagt, die er bewohnt. Er spreche nicht mit anderen Menschen – und wenn, dann nur sehr, sehr langsam. Andere wieder behaupten, er sei durchaus redselig, ein ganz und gar netter Mensch, wenn auch mit kleinen Macken. So wird berichtet, wie er einmal urplötzlich auf einer Wiese Unkraut zu jäten begann, auf der Suche nach Inspiration für die nächste Plattenhülle. Ganz andere wiederum glauben, in Wirklichkeit sei Oldham mitnichten depressiv, sondern ein Witzbold, der Schabernack mit seinem schwermütigen Publikum treibt. Eine Theorie, die nicht sofort von der Hand zu weisen ist bei Songtiteln wie „You Have Come In Your Hair And Your Dick Is Hanging Out“. Und wenn man weiß, dass Oldham früher in zwei, drei Filmen durchaus talentiert als Schauspieler mitgewirkt hat.

Solche und all die anderen Erzählungen, die es gibt über Oldham, versuchen auszuloten, wie ein Mensch beschaffen sein muss, der seit nun fast zehn Jahren singt, als wäre er längst tot, gäbe es die Musik nicht. Es soll ergründet werden, woher diese Stimme kommt. Ob all die Abgründe, die durch die Klänge schimmern, tatsächlich auch im wahren Leben vorhanden sind. Langsam aber hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Oldham selbst der Letzte ist, der aufzuhellen vermag, woher die Stimme kommt. Je weniger autobiografisch die Songs sind, sagt er, desto mehr Menschen können sie etwas bedeuten. Wem nützt es zu wissen, dass Oldham aus Louisville, Kentucky, stammt, einen gewissen Leonard Cohen nicht ganz schlecht findet und von Werner Herzog zu einem Song inspiriert wurde? Oder, wie Oldham in einem Moment seltener analytischer Klarheit meinte: „Man muss davon ausgehen, dass ich selbst und die Figur, die in den Texten von sich spricht, sowie die Stimme, die sie singt – dass wir drei verschiedene Dinge sind.“

Solche ausführlichen Äußerungen haben Seltenheitswert. Denn gegen die Suche nach der Person Will Oldham wehrte sich diese meist mit Gesprächsverweigerung. Frage: „Warum sind Sie so traurig?“ Antwort: „Ääääh . . . keine Ahnung . . . Vielleicht, weil ich geboren wurde.“

Zur Verwirrung trug auch der ständige Namenswechsel der verschiedenen Inkarnationen von Oldhams Kunst bei: Von Palace Brothers zu Palace Music, Palace Songs und Palace, schließlich zum Geburtsnamen und zuletzt zu Bonnie Prince Billy. So wurde der menschenscheue Oldham, der noch heute nur ungern eine Bühne betritt, zum Liebling der Kritiker und solch unterschiedlicher Kollegen wie Björk, Hazeldine und Johnny Cash, der unlängst einen Song von ihm gecovert hat. Erst in letzter Zeit lässt sich Oldham nun zu Interviews bitten – um seiner Plattenfirma eine Freude zu machen, wie er zu Protokoll gibt.

Zu werben gilt es für „Ease Down The Road“, die eingängigste, aufgeschlossenste Platte, die Oldham je gemacht hat. Immer noch bilden sehr reduzierte Entwürfe von Country und Folk die Grundlage für seine Musik, doch beide Stile lösen sich sanft auf in Langsamkeit wie in einem milden Laugenbad. Auf dieses Gerüst setzen Gitarren, Banjo und Perkussion kleine, einsame, sehr kunstvolle Schlieren. Dann werden Backgroundgesänge von kristallener Klarheit angestimmt und schließlich gar gepfiffen.

Beteiligt waren daran viele Menschen – manche kennt man, manche haben vorher noch nie Musik gemacht, wie der Filmemacher Harmony Korine. Aber alle sind vor allem Freunde von Oldham, der so im Einklang mit der Welt zu sein scheint wie noch nie in seinem Leben. Zwar wird auf „Ease Down The Road“ auch mal Eintopf aus kleinen Kindern gekocht. Aber neben den von Oldham gewohnten Beschreibungen psychotischer Zustände finden sich sogar Liebeslieder, in denen die Protagonisten noch am Leben sind. So hat Oldham in „After I Made Love To You“ eine der schönsten romantischen Zeilen aller Zeiten geschrieben: „In the dark I see you glisten/ To your breath I lay and listen.“

Das Wichtigste aber bleibt, egal unter welchem Namen, egal zu welcher Musik: Diese Stimme und ihr Klang. Der ist so traurig, dass man weinen könnte, und so verloren, dass man Oldham immer wieder in den Arm nehmen und trösten möchte. Es gibt Live-Konzerte, bei denen das Publikum vergisst zu applaudieren, so berührt ist es. Manchmal droht die Stimme ganz zu verschwinden, während sie tief in Abgründen gräbt. Einsamkeit, Inzest, verborgene Sehnsüchte und die Depressionen, die einen in einem amerikanischen Provinzkaff wahrscheinlich unweigerlich befallen müssen, all das ist schlussendlich nur Teil des Leidens an der Welt und dem Leben. Des Leidens, das die Stimme von Will Oldham für uns alle übernehmen will.

Bonnie Prince Billy: „Ease Down The Road“ (Domino/Zomba); 8. 4. München, 9. 4. Frankfurt, 10. 4. Köln, 11. 4. Berlin, 12. 4. Geislingen, 13. 4. Heide

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