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Workaholic mit Gemüt

■ Der Bremer Friedel Muders hat den erstmals verliehenen Echo für eine Band-Homepage gewonnen. Kein Wunder: Er macht seine Arbeit mit Leidenschaft und Branchenkenntnis

„Scheiße, Bandsalat bei 'nem Video. So was hatte ich ja noch nie.“ Jetzt wird Friedel Muders noch etwas brauchen, bis er die Echo-Verleihung auf der Homepage der Guano Apes hat. Das ärgert ihn, schließlich ist www.guanoapes.de sein Baby. Fast jeden Tag ändert er die Seite der Göttinger Rockband: Fotos, Grafik, Musik, Videos und vor allem Texte. Texte, die er sich oft aus den Fingern saugen muss – bei welcher Band passiert schon jeden Tag etwas Neues? „Aber das ist mein Prinzip“, sagt der Bremer, „im Internet musss immer Bewegung sein, sonst verlieren die Leute das Interesse.“ Und so schreibt Muders den Fans aus seinem mit Technik vollgestopften Büro im Viertel tagein, tagaus liebenswürdige Details über ihre Stars im Stile eines Echtzeit-Fanzines. Der Erfolg gibt ihm recht: Über viereinhalb Millionen Zugriffe verzeichnete die Guano-Apes-Seite im vergangenen Jahr – oder alle sieben Sekunden einen, durchschnittlich. Das macht Muders zufrieden. Er hat sich eine eigene „Netzgemeinde“ aufgebaut.

Am Anfang musste er der Plattenfirma die Homepage regelrecht aufschwatzen. Er war schon Mitte der Neunzigerjahre davon überzeugt, dass die Bands in einer komplizierter werdenden Medienwelt jede Gelegenheit nutzen müssen, in die Öffentlichkeit zu kommen. Die Guano Apes und ihre Plattenfirma haben ihm schließlich geglaubt. Aber bezahlt bekommt Muders nur einen kleinen Teil seines Aufwands. „Mehr ist auch nicht drin. Die Gewinne der Branche sind nicht so satt, wie viele Leute denken“, weiß der virtuelle Fan-Beauftragte. „Aber es geht ja nicht immer nur um Geld.“ Die Guano-Apes-Homepage ist für ihn eine „Mischkalkulation“: Zum einen ist er „fest im Bandprojekt“, wird also wohl auch weiterhin alle Plattencover der Band designen, zum anderen ist die Homepage „beste Imagewerbung“. Mit anderen Worten: Die Zeit, die andere Grafiker mit Auftragsakquise verbringen, werwendet Muders lieber auf sein Aushängeschild im Netz.

Dass es sich gelohnt hat, weiß Muders spätestens seit der vorigen Woche: Da bekam er in Berlin den „Echo“, den Musikpreis der erstmals auch für die Homepage einer Band verliehen wurde. Jetzt steht die kleine Skulptur aus Chrom zwischen Stapeln von Büchern, CDs und Videocasssetten, als wäre sie nichts Besonderes – gleich neben dem „Comet“-Preis des Fernsehsenders VIVA, der schon zu Bruch gegangen ist. Aber bei der Preisverleihung war der ruhige 48-Jährige aufgeregt wie ein Kind. Wusste nicht, was er anziehen sollte. Aber Anzug – das ging zu weit. Zwischen Stars wie Jeanette, Sabrina Setlur und Ricky Martin fiel ihm nicht mal mehr sein zurechtgelegtes Dankeschön ein. „Macht nichts“, sagt er, „die Leute finden das charmant.“

Ziemlich uncharmant findet Muders diejenigen, die ihn jetzt fragen: „Wieso hat denn gerade die Seite gewonnen?“ Dann muss er immer umständlich sein Credo der Web-Kommunikation erläutern. „Natürlich gibt es andere Seiten mit einem Top-Design“, aber was für ihn zählt ist in erster Linie der Inhalt. Der muss abwechslungsreich sein, und vor allem leicht zugänglich. Genau da versagen aber viele Web-Angebote: Auf durchgestylten Oberflächen weiß oft kein Mensch, wo er hinklicken muss, um weiter zu kommen. Außerdem sind Muders' Seiten immer auch ein Kompromiss zwischen eigenem künstlerischem Ausdruck und dem Charakter des Auftraggebers: Zu einer Rockband passt eben kein Edelschick. Und Benjamin von Stuckrad-Barre (www.stuckrad-barre.de) hat Muders eine minimalistische Seite in Schwarz-Weiß auf den Leib geschneidert – „für einen Literaten gerade richtig.“

Generell arbeitet er „nur für nette Leute“ – der Maßstab ist, „ob ich in einer WG mit ihnen wohnen könnte“. Für den Rest ist ihm das „Herzblut“ zu schade, ohne dass er einfach nicht arbeiten kann. Seine Firma, die ursprünglich ein Plattenlabel war, hat er passenderweise fuego genannt (www.fuego.de): Das steht für Feuer ebenso wie für Leidenschaft. Die verführt ihn immer wieder, zu viel zu arbeiten – deshalb genießt er es, über seinem Büro zu wohnen. Festanstellung? Unvorstellbar – ohne Freiheit keine Kreativität. Und selbst Angestellte haben? Schon probiert. „Aber Chef sein ist nicht mehr derselbe Job.“

Das erinnert Muders an früher. Als er den Plattenvertrieb „Schneeball“ von TonSteineScherben mit aufgebaut hat, später das legendäre „Energie für alle“-Label. „Irgendwann haben wir nur noch Geld hin und her geschoben.“ Bei Rough Trade, das Anfang der Achtziger den englischen Underground nach Deutschland brachte, war der studierte Kunsterzieher Produktionsmanager und Coverdesigner in Personalunion. Heute hat er über 500 Plattencover gemacht – genau mitgezählt hat er nicht. Zum Internet kam Muders als Autodidakt: „Damals gab es ja keine Ausbildung.“ Heute lehrt er selbst an der Uni Webdesign, klagt aber über die fehlende Motivation der Studenten. Dies Semester probiert er ein Blockseminar – „das ist der letzte Versuch.“

Das Telefon klingelt. In das High-tech-Headset zwischen seinen Struwelhaaren sagt Muders: „Musst selbst vorbei kommen und nachsehen.“ Dann erklärt er: „Mein Nachbar hat Probleme mit seinen Mails. Der benutzt meine Standleitung mit.“ Zum Ausgleich darf Muders bei ihm Filme belichten, die Leitung haben sie quer über den Hof gespannt. „Früher hatte ich meinen eigenen Belichter. Wir haben damals ja immer gesagt: ‚Die Produktionsmittel in der eigenen Hand« und so.“ Aber in Nachbars Hand geht auch. Ist eben auch ein netter Mensch. Jan Kahlcke

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