: Unversichert zum Strahlen
Polizisten bei Castor-Transporten sind Neutronenstahlung ausgesetzt. „Halbherzige Kritik“ von den Gewerkschaften ■ Von Kai von Appen
Der Countdown läuft: Mehrere hundert PolizistInnen aus Hamburg werden heute ins Wendland abkommandiert, um zusammen mit 10.000 BeamtInnen aus anderen Bundesländern und des Bundesgrenzschutzes (BGS) den strahlenden Metallbehälter nach Gorleben zu begleiten. Dabei werden sie vor allem wegen der Neutronenstrahlen enormen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sein. Gegen deren Spätfolgen sind sie ausdrücklich nicht abgesichert. Schuld ist eine „Strahlenausschlussklausel“ der Versicherungswirtschaft. „Gesundheitliche Schäden lassen sich bei diesen Einsätzen nach aktuellem wissenschaftlichem Stand zur Zeit nicht ausschließen“, so die Begründung des Bundes deutscher Unfallversicherer vom Freitag.
Dass Neutronenstrahlung gefährlicher ist als gern behauptet, haben der Marburger Nuklearmediziner Professor Dr. Horst Kuni und der Münsteraner Strahlenbiologe Dr. Wolfgang Köhnlein in einer Langzeitstudie belegt. (taz hamburg berichtete) Ihre Studien von Hiroshima-Opfern beweisen, dass die verheerenden Auswirkungen der Neutronenstrahlung bei Langzeit-Niedrigdosen je nach Körperteil bis zu 300 Mal höher sein können, als lange Zeit angenommen. Köhnlein: „Zellen haben unterschiedliche Phasen, je länger sie einer Niedrigstrahlenbelastung ausgesetzt sind, desto leichter treten Mutationen und damit Turmorrisiken auf.“ Im Klartext: Eine Person, die kurzfristig eine gewisse Strahlung abbekommt, ist nicht so gefährdet, wie ein Polizist, der in einiger Entfernung mehrere Stunden einen Castor begleitet und dabei derselben Dosis ausgesetzt ist.
So sollen nach der – noch nicht verabschiedeten – Strahlenschutzverordnung die Grenzwerte des „biologischen Wirkungsfaktors“ von 10 auf 15 herraufgesetzt werden, nach Berechnungen von Kuni wäre aber bei Neutronenstrahlung ein Faktor 75 erforderlich. Anders ausgedrückt. „Bei einem einzigen Castor-Transport entsteht eine Strahlenbelastung, die rund um die Hälfte höher liegt als der Jahresgrenzwert,“ so Greenpeace-Strahlenexperte Helmut Hirsch.
Die Polizeiverbände Gewerkschaft der Polizei (GdP), Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) und Bundesgrenzschutzverband (BGV) reagierten im Sommer auf die Kuni-Studie und die Ankündigung neuer Castor-Transporte mit der Forderung nach einem Transportstopp und einem Maßnahmenkatalog, bis „ausweisliche Sicherheitsgarantien“ als Voraussetzung erfüllt sind. Davon ist heute keine Rede mehr. So geht die GdP davon aus, dass die eingesetzten Kräfte ständig ausgetauscht werden, so dass kein Polizist länger als eine Stunde den Strahlen ausgesetzt ist. Die DPolG ist mit einer Unbedenklichkeitserklärung des Bundesamts für Strahlenschutz zufrieden. Laut Köhnlein schützt hingegen nur ein Abstand von 200 bis 400 Metern vor dem Strahlenrisiko. Niedersachsen hatte beim Castor-Transport 1997 Frauen den Einsatz als Begleitschutz untersagt.
Daher wirft die Bundesarbeitgemeinschaft Kritischer PolizistInnen – Hamburger Signal (BAG) den verantwortlichen Behörden mangelnde Fürsorgepflicht und den Gewerkschaften Halbherzigkeit vor, da die BeamtInnen nicht abgesichert sind. BAG-Sprecher Thomas Brunst: „Die Forderung der Polizeigewerkschaft nach Rücknahme der ,Strahlenausschlussklausel' ist bis heute nicht realisiert worden.“
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