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Bloße Hamburgensie oder mehr?

In der Kunsthalle: Bedeutende expressionistische Bilder von Privatsammlern aus Hamburg  ■ Von Hajo Schiff

In den Deichtorhallen wird gerade eine große Privatsammlung ausgestellt, im Kunstverein Harburger Bahnhof auch und in der Galerie der Gegenwart ist vieles eine Leihgabe von Privat. In Bremen und Hannover, in Köln und München, nirgends funktioniert der Ausstellungsbetrieb mehr ohne das Engagement derer, die sich von den Sofabildern trennen bzw. ihre Kunstlager in die Museen bringen lassen. Das liegt nicht nur an zu niedrigen Ankaufetats in Stadt- und Staatshaushalten – die öffentlichen Museen sind auch in ihrer Ankaufspolitik zu langsam für den Kunstumsatz, bei dem die Privaten ein höheres Risiko eingehen können.

Ist die starke Abhängigkeit der öffentlichen Institutionen von den privaten Geldgebern und Sammlern bisher vor allem von außen kritisiert worden, begibt sich jetzt die Hamburger Kunsthalle selbst auf die Suche nach der Geschichte der Privatsammlungen in dieser Stadt. Diese im Wesentlichen von Ulrich Luckhardt betriebene Forschung hat Erstaunliches zu Tage gebracht, auch wenn der Betrachtungszeitraum fürs Erste vorsichtshalber 1933 endet.

Das Ergebnis mag viele erstaunen: Hamburg war eine höchst bedeutende und innovative Kunststadt! Anfang des 19. Jahrhunderts war die Hansestadt ein Zentrum des Kunsthandels, und bis 1912 war das halb öffentliche Museum von Konsul Eduard F. Weber die größte private Galerie alter Meister in Deutschland. Doch da die Kunsthalle weder die Auflagen für eine Schenkung akzeptieren, noch alles für etwa drei Millionen kaufen wollte, wurde alles in Berlin für 4.390.510 Goldmark versteigert, darunter eine Maria von Andrea Mantegna zum damaligen Rekordpreis von 590.000 Mark.

Und obwohl die jetzige Ausstellung in der Kunsthalle schwerpunktmäßig das Engagement der privaten Sammler für die Kunst der Impressionisten und der Moderne im 20. Jahrhundert behandelt, beginnt sie in salonmäßig roten Räumen mit dieser Vorgeschichte hamburgischen Sammelns im 19. Jahrhundert.

Nun ist die komplette Rekonstruktion historischer Sammlungen weder möglich noch sinnvoll, kunstgeschichtliche Forschung aber wird erst durch Originalbilder anschaulich. So sind immerhin 180 Werke aus aller Welt in der Kunsthalle versammelt, die das Vergnügen hatten, einstmals irgendwo in Hamburger Wohnungen und Privatgalerien zu hängen: von Claude Monet bis Oskar Schlemmer, von Albert Aereboe bis Gustav Heinrich Wolff.

Doch der Titel der Ausstellung vermeidet die wissenschaftliche Präzision des umfangreichen, selbst ein Sammlerlexikon enthaltenden Katalogs und lautet getreu den Regeln des Marketings, um ein breites Publikum anzulocken: Picasso, Beckmann, Nolde und die Moderne. Dabei gesellen sich in 17 Räumen zu den inzwischen in den Besitz der Kunsthalle gelangten Bildern selten gesehene Stücke, die auch heute noch in Privatbesitz sind. Denn bei allem Einsatz für die Kunst sind Hamburgs Sammler mehrheitlich äußerst diskret. Und es gibt, vornehmlich in den Kabinetten, eher unbekannte Künstler wiederzuentdecken, wie den von dem Juristen Gustav Schiefler geförderten, 1939 erschossenen Graphiker Paul Gangolf oder den Berliner Künstler Gustav Heinrich Wolff, dessen Förderer Max Sauerlandt war, der seit 1919 Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe war.

Bleibt die Frage, ob dieses ganze, bisher kaum bearbeitete Thema mehr als eine Hamburgensie ist. Vielleicht fällt das Urteil ja nur deshalb so positiv aus, weil der Vergleich mit anderen Städten fehlt. Doch Ulrich Luckhardt ist überzeugt, das seine These steht: „In Berlin beispielsweise hat das sammlerische Experiment zu so früher Zeit nicht stattgefunden.“ Das gilt vor allem für die Künstler der Brücke und andere Expressionisten. Aber auch fünf Picassos besaß der in Hamburg lebende rheinische Kaufmann Max Leon Flem-ming schon vor 1921. Die meisten der großen Hamburger Privatsammlungen mussten dann in der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre aufgelöst werden. Wie andere später dann in das zermahlende Räderwerk der nationalsozialistischen Politik gerieten, bleibt späteren Untersuchungen vorbehalten.

Picasso, Beckmann, Nolde und die Moderne – Meisterwerke aus frühen Privatsammlungen in Hamburg, Hamburger Kunsthalle (Altbau), bis 17. Juni. Katalogbuch 45 Mark

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