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Junggrüne schwören auf Roth

Von den Altgrünen fühlt sich der Nachwuchs der Partei nicht ernst genommen. Einzige Ausnahme: Claudia Roth, die neue Parteivorsitzende. Auf dem Bundeskongress der Grünen Jugend in Hamburg wurde sie für ihre kritische Rede beklatscht

von ANNA HOLZSCHEITER

„Wir haben an unserer Parteispitze graue Männer in grauen Anzügen. Als wir uns vor sechs Jahren gegründet haben, da hieß es bei den Altgrünen: Warum Jugendverband, wir sind doch selbst jung.“ Für Ramona Pop, Sprecherin der Grünen Jugend, ist klar, warum die Altgrünen mit ihrem Auftreten junge Wähler nur noch schwer mobilisieren können: Sie verkörpern falsche Botschaften und haben kein Ohr für die Jugend: „Der Joschka Fischer hat noch nie den Jugendverband eingeladen.“

Trotzdem gibt es eine Menge junger Leute, die sich für grüne Ziele stark machen. Beim 16. Bundeskongress der Grünen Jugend in Hamburg trafen sich am Wochenende rund 150 Jugendliche aus ganz Deutschland, um über neue Medien, Datenschutz im Internet oder E-Demokratie zu debattieren. Nebenbei zeigte sich auch, dass das schicke Motto „verNETZt LEBEN“ urgrüne Themen wie den schnellen Atomausstieg nicht verdrängt hat.

Beim „Castor-Treffen“ am Freitagabend berichtete Florian Wilde aus Nürnberg von den Castor-Protesten. Fotos wurden herumgereicht und die perfekte Castor-Ausrüstung demonstriert – Verbandskästchen, Trillerpfeife, Kugelschreiber, gültiger Personalausweis. Die Diskussion über Florians Erlebnisse war lebhaft, die anschließende Party in der Prinzenbar auf der Reeperbahn weniger. Die Brit-Pop-Band „The Cheeks“ kommentierte die Stimmung mit ihrem Song „Disappointed“. Enttäuscht.

Enttäuscht über die Altgrünen ist auch Werner Graf, Sprecher des Bundesvorstandes. Ursachen für die Wählerverluste unter jungen Menschen bei den letzten Landtagswahlen gibt es für ihn zuhauf: „Wenn unsere Bundespolitiker Beschlüsse, die die Koalition gefasst hat, immer als Nonplusultra hinstellen und nicht betonen, dass das nur ein Kompromiss ist, dann können sie auch die Jungen nicht mehr begeistern“, sagte er. Außerdem zeigten die Castor-Proteste für ihn ganz deutlich, dass es unter den jungen Leuten viele gibt, die aktiven Widerstand gegen die Atomkraft leisten: „Wenn dieser Widerstand jetzt nicht genutzt wird, verstehe ich diese Partei nicht mehr.“

Eine bei den Altgrünen gibt es allerdings, die von den Jungen verstanden wird und die heraussticht aus dem Grau der Parteiherren: Claudia Roth. Sie kam frühmorgens zum Kongress und schaffte es, die jungen Grünen auch nach einer durchfeierten Nacht zu begeistern. „Es waren immer die Frauen bei den Grünen, die die offeneren Ansprechpartnerinnen waren“, erzählt Ramona Pop. Auch Claudia Roth signalisiert diese Offenheit: „Das wieder zu vermitteln, was wir mit Generationengerechtigkeit meinen, das möchte ich gemeinsam mit euch machen.“ Die neue Kampagne der Grünen Jugend gegen Videoüberwachung, „Big Mama is watching you“, begrüße sie sehr. Denn: „Viele Überwachungswege, die Orwell in seinem Horrorszenario ‚1984‘ beschrieben hat, sind doch heute schon überholt oder verbessert.“ Fast jeder Satz erntete Applaus.

Für Tanja Prinz aus Bremen ist Claudia Roth ein Vorbild, „weil sie es geschafft hat, so weit aufzusteigen und ihre Ideale als Berufsziel umzusetzen.“ Tanja, seit mehreren Jahren für die Grüne Jugend aktiv, kann sich schon vorstellen, politische Karriere bei Bündnis 90/Die Grünen zu machen. Mit dem Realo-Fundi-Problem wäre sie dann schon vertraut, denn „hier bei der Grünen Jugend gibt es die zwei Lager der Linken und der Realos auch“. Junge Leute wie Tanja sollten von den Altgrünen ernst genommen werden. Denn, sagte Ramona Pop, „die müssen doch mal gucken, was da an Nachwuchs kommt und mit welchen Leuten sie sich eine Zukunft vorstellen können.“

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