: Unerhörte Geräusche
Der Hörspielpreis der Kriegsblinden wird 50 Jahre alt und beweist mit der Auszeichnung des unprätentiösen Akustikthrillers „Pitcher“ Modernität
von GABY HARTEL
Unter Kulturinsidern ist der Preis ein Geheimtipp, vor allem bei älteren Hörern reicht er in Sachen Renommee sogar an den Büchnerpreis. Denn seit Jahrzehnten tauchen immer wieder Preisträger auf, die zur Oberliga der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur gehören: Günter Eich, Wolfgang Hildesheimer, Ingeborg Bachmann, Ernst Jandl und Friederike Mayröcker, Helmut Heißenbüttel, Paul Wühr, Walter Kempowski, Heiner Müller ...
Ein Literaturpreis also? Eigentlich nicht. Auch wenn sich der diesjährige Preisträger, Walter Filz, vermutlich vor diesem Hintergrund so zurückhaltend freut (siehe Kasten).
Dabei hat sich der Preis in letzter Zeit immer mehr in Richtung Medienkunst entwickelt. Denn nicht erst seit Andreas Ammer und FM Einheit 1995 mit dem Popstück „Apocalypse Live“ ausgezeichnet wurden, lautet die Devise, ein Hörstück auszuwählen, „das die Mittel der Kunstform in herausragender Weise einsetzt“. So achtet die Jury mehr und mehr auf eine Faszination des Genres, die ja nicht nur im rein Erzählerischen liegt, sondern in der Mischform aus Drama, Lyrik, Essayistik, wie es Kurt Weill schon 1925 formulierte: eine Form, die sich mitteilt in einer neuen Sprache „aus Tönen und Rhythmen der Musik, zu der Klänge aus anderen Sphären hinzutreten, Rufe menschlicher und tierischer Stimmen, Rauschen von Winden, Wasser, dann ein Heer unerhörter Geräusche ...“
Natürlich geht es bei der Deutung solcher Kriterien in einer 19-köpfigen Jury nicht ständig spannungsfrei zu. Oft liegt der Konflikt in der Einreichung der zehn Hörspielredaktionen von ARD und DLR, die gern bewährte Kunstformen und Themen bedienen. Wie etwa die beliebte Formel vom Radio als letzter Bastion der Sinnsucher: „Es soll Texte geben, die keine Filmstoffe sind“, lautet ein trotziger Satz in Fritz Mikeschs Text „Gestorben“ (NDR), der vom Schauplatz Indien aus in fleißiger Bedeutsamkeit Medien- und Kulturkritik betreibt.
Alfred Behrens setzt mit „Die Tür nach Hochtief“ (RB) auf das direkt-intime Potenzial des Genres und präsentiert eine sentimentale Reise, die in der Runde nicht überzeugte. Natürlich spiegeln solche Beispiele nicht nur den Arbeitsstil einiger Produzenten, sie sind auch Momentaufnahmen des Kulturbetriebs – und hier wie dort findet ein Generations- wie Prioritätenwechsel statt. Es ist mit Sicherheit ein Risiko, der Jury junge, frei produzierte Stücke vorzustellen – samt ihren durchaus charmanten Anfängerschwächen („Blauzeugen“ von David Gieselmann, DLR).
Doch es ist wichtig: denn zu oft geht man auf „Nummer Sicher“ und adaptiert Arbeiten bekannter Größen wie etwa John Bergers „Unterwegs zur Hochzeit“ (HR). Wobei – trotz verstreuter intensiver Szenen – aus dem bemerkenswerten Roman ein gutes, altes Hörspiel wurde. Schade auch, dass die Inszenierung Bergers Schwächen verstärkt: den neuerlichen Hang zum politisch Sentimentalen und seine, an Anbiederung grenzende, Liebe zu Außenseitern.
Glücklicher im Umgang mit Literatur erschien da „Loose Shoes“, eine Klangversion von Raymond Federmans unveröffentlichtem Experimentalroman. Komponist Michael Riessler benutzt den Jazz als Strukturelement und kommt Federman damit entgegen, der viel vom Jazz gelernt hat. So entsteht ein konzertantes Ganzes, das allerdings als Musikstück eingeordnet wurde.
Ähnlich lag der Fall bei „Cosmic Memos“ (HR), einer ehrgeizigen Text-Musik-Collage, basierend auf Italo Calvinos Vorlesungsreihe „Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend“. Die Musiker HCD (Hermann Kretschmar, Cathy Milliken, Dietmar Wiesner) verknüpfen Zitate von Samuel Beckett, Italo Calvino, Rolf Dieter Brinkmann zu einem Klanggewebe, das leider nicht den magischen Sog des überzeugenden Neuen auslöst. So treffen Calvinos Vorschläge, „Leichtigkeit, Geschwindigkeit, Genauigkeit, Anschaulichkeit, Vielschichtigkeit“, vielleicht eher auf das Preisstück „Pitcher“ (WDR Einslive) zu. Hier produziert ein pragmatischer – kein „romantischer“ – Autor einen erfrischend unprätentiösen Akustikthriller. Wobei die Story vom abgetakelten Synchronsprecher in den Fängen (und schließlich unterm Laser) eines üblen Stimmenkartells nie das Motiv des Autors vertuscht: vom Klang, von den Stimmen und den (journalistischen) Formen des Radios zu erzählen.
Reportagen und Interviews werden ironisch collagiert, schrill und mit gewollt dilettantischen Schnitten zu neuen Bedeutungen zusammengehauen: eine lustvolle Fälschung. Doch fehlt bei all dem Spaß auch die versteckte Botschaft nicht: Es geht um die Infantilisierung der Gesellschaft, um Körperdesign unter Anpassungsdruck und die haarfeine Grenze zwischen Wahrheit und Täuschung. Ein ehrenhafter Gewinner also, dieser fünfzigste.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen