Im Bett mit Superman

Der Aachener Sammler Wilhelm Schürmann mag am liebsten Kunst, die „gesellschaftliche Definitionsmacht“ besitzt – von Joseph Beuys mit erigiertem Kreuz bis zu den letzten Wahrheiten von Martin Kippenberger. Jetzt stellt Schürmann Teile seiner Sammlung im Dortmunder Museum am Ostwall aus

von MAGDALENA KRÖNER

Seine Anweisungen hallen durch die Räume des Dortmunder Museums am Ostwall. Wilhelm Schürmann überwacht die Hängung der Ausstellung „Superman in Bed“, für die der Sammler einhundert Arbeiten ausgewählt hat: „Die Bilder müssen sieben Zentimeter auseinander hängen. Das da hinten hängt auf dem Kopf, das sehe ich von hier aus.“ Schürmanns Handy klingelt, der Neuseeländer Michael Stevenson ist dran. „Welche Stecknadeln willst du haben? Ich finde ja durchsichtige schön, die stören deine Arbeiten nicht so, aber hier gibt es nur bunte. Dir ist es egal? Also besorge ich durchsichtige.“ Dann stürmt Schürmann weiter durch die Räume, die das Museum dem gelernten Chemiker zur Verfügung gestellt hat.

Der gebürtige Dortmunder, der seit langer Zeit in Aachen lebt, wo er an der Fachhochschule für Design unterrichtet, kehrt heim und ist gerührt. „Man wollte mir das ganze Haus geben, aber das war selbst mir ein bisschen zu viel Platz“, schmunzelt er. Seinen Hochaltar hat er sich jedoch – keine falsche Bescheidenheit bitte! – gleich mitgebracht: Jason Rhoades „Reaction Man, Tschecho-Kit (The Great See Battles of Wilhelm Schürmann)“ ist die zu kolossaler Größe aufgeblähte Version eines Chemiebaukastens, wie ihn Schürmanns Eltern, die im Stadtteil Lütgendortmund einen Spielwarenladen betrieben, verkauften. Alle paar Minuten steigt aus einer Düse eine kleine Rauchwolke auf – ein bisschen Weihrauch, ein bisschen Seitenhieb auf die „heiße Luft“, die um die Kunst gemacht wird.

Nach fotolastigen Ausstellungen wie „Someone else with my fingerprints“ vor drei Jahren ist „Supermann in Bed“ eine Rallye durch sämtliche Querverweise, die sich anhand amerikanischer und deutscher Kunst der 80er- und 90er-Jahre ausmachen lassen. Zusammen mit seiner Frau Gaby begann Schürmann 1984, nach dem spektakulären Verkauf seiner historischen Fotosammlung ans Getty-Museum, sein Geld in Gegenwartskunst zu investieren. Dass dabei, und das soll auch schon die einzige Parallele zum verstorbenen Sammelkonkurrenten Peter Ludwig bleiben, die USA eine der Hauptsäulen bilden, hat für den Sammler einen simplen Grund: „Als Junge in der Nachkriegszeit war Amerika das Größte. Hollywood war uns wichtiger als Goethe in Italien.“ So nehmen aktuelle Positionen der West-Coast-Kunst denn auch viel Platz in Schürmanns Heimspiel ein. Mal streng thematisch, mal assoziativ strukturiert er die Räume, von denen jeder einzelne einen eigenen, aufregenden Kosmos bildet.

Dabei legt Schürmann auch Spuren zu sich selbst, ohne allerdings allzu große Eitelkeiten zu pflegen. Tatsächlich wirkt er dem, was ein Kritiker einmal als „Abgreifen von Gegenwartskunst“ formuliert hat, durch regelmäßige Auftragsarbeiten entgegen, die er an junge Künstler vergibt. In diesem Fall sind es die Brüder Raphael und Tobias Danke, die Schürmann eingeladen hat, an ihrem „ORTsmodell“ weiterzubauen, in dem die Topografie Aachens nun von einer Rohrkonstruktion en miniature überwuchert wird. Im Nebenraum explodieren bei Peter Garfield Häuser, zeichnet Sam Durant Dreck. Nie weiß man in der Fülle der Kombinationen, was hinter der nächsten Ecke lauert – eine Zeichnung von Raymond Pettibon? Ein Objekt von Georg Herold? Oder die kühlen Alltagsfotografien von John Miller?

Das Herz der Ausstellung bildet ein „Raum der starken Frauen“, in dem Schürmann Begehrlichkeiten inszeniert – Blickwechsel, Blickkontakte, Blickverbote. Um Valie Exports berühmtes „Tapp- und Tastkino“ sind „wardrobe test photos“ von Marilyn Monroe gruppiert. Schürmann fand die Bilder, die die Schauspielerin – als wär’s ein Stück serielle Konzeptkunst – in verschiedenen Kostümen und Kulissen zeigt, in Filmshops in Los Angeles. Und wenn man nicht genau hinschaut, könnten die Fotos, die Pornoregisseur Russ Meyer 1960 von seiner Frau Eve gemacht hat, auch als Cindy-Sherman-Werke durchgehen. Franz Wests skulpturales Ensemble „Schürmanns Lichtung“, das die Form des Export’schen Kartons wieder aufnimmt und mit männlicher Wahrnehmung spielt, steht dem gegenüber. Als Macho entlarvt sich dagegen Joseph Beuys, der während einer Performance im Aachener Audimax 1963 ein „selbstaufrichtendes pneumatisches Kreuz“ präsentierte, nachdem er von einem Studenten tätlich angegriffen wurde. Der Phallus als Kunstwaffe – da wird ein historisches Dokument wieder aktuell.

Als Running Gag taucht an völlig unterschiedlichen und meist überraschenden Stellen der Titelheld der Ausstellung auf: Superman. Der uramerikanische Mythenträger ist Schürmann im Internet begegnet. „E-bay stellt seit einiger Zeit Dinge ins Netz, die früher undenkbar gewesen wären. Ich entdeckte alte Superman-Hefte aus den Vierzigerjahren und sah plötzlich die Parallele zu Peter Sauls ‚Superman in Bed‘, das ich schon länger in der Sammlung hatte.“ Im „Raum der Helden“ kommandiert Schürmann Heroen der Neuzeit herbei: Immendorff trifft Superman. Comics neben Ikonen der bildenden Kunst zu stellen, gehört zum erklärten Ziel dieser Ausstellung. Ging es in „Someone else with my fingerprints“ um Identität und Biografie, so verweist „Superman in Bed“ in vielfältiger Weise auf den gesellschaftlichen Kontext, innerhalb dessen die Kunst virulente Fragen stellt. Als Privatvergnügen, das sich in glamouröse Disco-Interieurs zurückzieht, ist sie Schürmann ein Gräuel: „Ich glaube nach wie vor an die gesellschaftliche Definitionsmacht von Kunst.“

Vielleicht liegt hier auch die unverhohlene Begeisterung für Martin Kippenberger begründet, dessen Arbeiten Schürmann wie Bonmots in die Ausstellung streut: „Als ich Kippenberger zum ersten Mal Anfang der Achtzigerjahre traf, öffnete mir das die Augen – so konnte Kunst also aussehen. So eine Position lässt sich nicht einfach nebenbei vernaschen. Das, was er formulierte, gilt noch eine ganze Weile.“ Wer den ausufernden und anspruchsvollen Parcours bis in den letzten Raum gemeistert hat, darf sich hier – wie die Autorin am Ende eines fast dreistündigen Rundgangs – von Kippenbergers Worten ehrenvoll entlassen fühlen: „Sie haben ihre Prüfung bestanden. Sie können nun gehen, wohin Sie wollen.“

„Superman in Bed“, bis 24. 6., Museum am Ostwall, Dortmund