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Aufklärung über jeden Toten

Elf Jahre nach der Pinochet-Diktatur: Viviana Díaz vom Verband der Verschwundenen sucht in Hamburg Unterstützung. Aus Santiago de Chile  ■ Heike Haarhoff

Eigentlich, sagt Viviana Díaz, würde sie ihr Präsidentinnenamt lieber gestern als heute aufgeben. Und den ganzen Laden, also den Verband der Verschwundenen der Diktatur in Chile, gleich mit dicht machen. Denn: „Wir sind eine Organisation, die eigentlich in keinem Land dieser Welt existieren dürfte.“ Zumindest im heutigen Chile mit seiner demokratisch gewählten Regierung und einem sozialistischen Präsidenten sollte eine Angehörigen-Institution, die sich gegen politische Verfolgung, Folter, Mord, kurz: gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wehrt, überflüssig sein, elf Jahre nach dem Ende des totalitären Pinochet-Regimes allemal.

Doch ein Ende ihrer Arbeit ist nicht in Sicht, sagt Viviana Díaz, und damit das auch international nicht in Vergessenheit gerät, wird die Präsidentin des chilenischen Verschwundenenverbands während ihrer zehntägigen Deutschlandreise heute und morgen in Hamburg unter anderen mit GAL-Fraktionschefin Antje Möller sowie Vertretern von Menschenrechtsorganisationen Gespräche führen.

Der Eindruck, Chile sei mit der Aufarbeitung seiner diktatorischen Vergangenheit ein gutes Stück vorangekommen, stimmt. Und stimmt nicht. Zwar wird Augusto Pinochet vor einem chilenischen Gericht der Prozess gemacht, „was für uns jahrelang unvorstellbar war“, sagt Viviana Díaz. Zwar haben die Militärs im Januar, 27 Jahre und vier Monate nach ihrem blutigen Putsch gegen die Regierung des Sozialisten Salvador Allende, erstmals ihre Beteiligung an der Ermordung und am Verschwindenlassen von politischen Gegnern eingestanden und – ebenfalls erstmalig – Orte benannt, an denen sie sich ihrer Opfer entledigten.

„Doch diese Informationen sind unzureichend“, sagt Díaz. Der Bericht der Militärs benenne weder die Namen der für die Morde Verantwortlichen noch verliere er „auch nur ein Wort darüber, dass es Folter gegeben hat“. Auch über die große Zahl derer, die wie Viviana Díaz' Vater nach ihrer Ermordung ins Meer geworfen wurden, gebe es keine Erklärung, ebensowenig eine Statistik über die Zahl der Opfer, die Gefängnis und Folter überlebten oder ins Exil fliehen mussten und heute mit Folgen der Traumatisierung kämpfen. „Wir“, sagt Viviana Díaz, „fordern Aufklärung über jeden einzelnen Fall.“

Zumindest einen prominenten Vertreter der Bundesregierung weiss sie auf ihrer Seite: Ludger Volmer (Grüne), Staatsminister im Auswärtigen Amt. Der hielt bei seinem Chile-Besuch vorige Woche mit seiner Kritik nicht hinterm Berg. Die chilenische Verfassung, die unter anderem die Ernennung von Senatoren auf Lebenszeit und die Unabsetzbarkeit der Oberbefehlshaber der Streitkräfte vorsieht, stammt aus dem Jahr 1980 und damit aus finsteren Diktaturzeiten, und enthalte, so Vollmer, „Klauseln, die die konsequente demokratische Entwicklung behindern“. Keine politische Kraft, die im heutigen Chile an der Staatsmacht beteiligt sei, könne Interesse daran haben, „in der internationalen Gemeinschaft den Eindruck zu erwecken, diese Macht sei nicht durch freie, gleiche und geheime Wahlen begründet, sondern durch die Bevorzugung einiger Verfassungsmechanismen“.

Eine umfassende Verfassungsre-form noch in diesem Jahr ist drin-gend nötig, das wissen auch die chilenische Regierung unter dem Sozialisten Ricardo Lagos und die rechte Opposition. Nur wieviel und welche Reform sein darf, darüber tobt heftiger Streit. Internationaler Druck, sagt Viviana Díaz, hat schon manches Mal Debatten beschleunigt. Ein guter Grund für sie, auch in Hamburg Verbündete zu suchen.

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