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Quereinsteiger sind ein Gewinn

Kundige Gäste gehören in den Unterricht jeder Schule, meint Dieter Wunder. Sie dürfen von den Pädagogen nicht als Lückenbüßer betrachtet werden. Quereinsteiger können Schulen öffnen und den Lehrerberuf verändern

Die Schule braucht Quereinsteiger. Solche Lehrkräfte, die aus anderen Berufen kommend in Schulen mitarbeiten, sind heute schon allein zahlenmäßig wichtig. Es herrscht nämlich wieder Lehrermangel; bislang ist es ein partieller, aber er wird weiter zunehmen. Wir tun also gut daran, die Quereinsteiger nicht als Notlösungen zu betrachten. Wir sollten den Berufswechslern von Anfang an pädagogische Perspektiven eröffnen.

Denn Quereinsteiger sind auch und vor allem erwünscht, weil die Schule sich der Gesellschaft öffnen soll. Die Schulen, diese sehr selbstbezogenen Lehranstalten, müssen für das gegenwärtige und zukünftige Leben der Kinder und Jugendlichen wieder bedeutsam werden. Diese Öffnung ist zunächst thematisch gemeint, sie muss aber auch in den gestaltenden Personen deutlich werden. In den Persönlichkeiten liegt eine Chance für die Reform der Schule. Eine Institution, die alle Kinder und Jugendlichen mindestens neun bis zehn Jahre unterrichtet und erzieht, ist für die gesellschaftliche Entwicklung grundlegend und ihre Absolventen prägend. Daher sollte sie ihre Aufgabe nicht nur mit dem unentbehrlichen hoch qualifizierten Fachpersonal erfüllen; das „Leben“ sollte in seiner ganzen Vielfalt präsent werden. Zwei Wege sehe ich dafür als geeignet an.

Fachleute der verschiedensten Bereiche werden für kürzere oder längere Zeit als Gäste in den Unterricht einbezogen, damit ihr Wissen und ihre Erfahrungen den Unterricht bereichern. Eine Lehrerin, ein Lehrer mag noch so gut qualifiziert sein – sie /er kann niemals die Erfahrung der Arbeitswelt vermitteln, schon gar nicht den Wandel der Gesellschaft. In eine guten Schule wurden Gäste schon immer eingeladen. Aber es handelt sich dabei um Ausnahmen; denn der normale Unterricht wird behindert, Gäste machen Arbeit, wollen vorbereitet und betreut sein. Demgegenüber wäre es wünschenswert, die Sichtweise umzukehren. Kundige Gäste gehören als Normalfall in jeden Unterricht.

Bausteine für eine ganz andere Schule

Wichtiger scheint mir allerdings die Perspektive, Quereinsteiger dauerhaft für den Lehrerberuf zu gewinnen, nicht wegen des Lehrermangels, sondern um den Beruf und die normale Laufbahn zu verändern. Die „volkserzieherische“ Aufgabe der Schule sollte nicht allein einer sehr spezialisierten Profession überlassen bleiben, der die eigene, direkte Kenntnis der Unterschiedlichkeit des Lebens vielfach fehlen muss. Es würde die Schule verändern, wenn eine 50-jährige Berufspolitikerin den Geschichtsunterricht in Klasse 7 übernähme oder ein 43-jähriger Tiefbauingenieur der Physiklehrer im Schuljahr 9 wäre.

Der berechtigte und gewichtige Einwand gegen solche Quereinsteiger liegt in der Gefahr einer Entprofessionalisierung. Die spezifische Qualität der Lehrerausbildung würde gefährdet, der Unterricht auf Jahre hinaus ein Experimentierfeld für Neulinge. Die Parlamente kämen in die Versuchung, Billiglösungen zu favorisieren. Aus der Geschichte sind die invaliden Soldaten am Pult in unrühmlicher Erinnerung; im Bewusstsein sind aber auch die Lehrkräfte in vielen Ländern der Erde, die, jämmerlich bezahlt, oft nur mit zwei oder drei Jobs ein Leben fristen können. In Deutschland dauerte es über hundert Jahre, bis alle Lehrkräfte, nicht nur die der Gymnasien, gut ausgebildet und anständig bezahlt wurden. Vermeiden lassen sich unerwünschte Nebenfolgen, wenn Quereinsteiger eine Minderheit blieben und sie sich zudem in einem überschaubaren Zeitraum die notwendigen Professionskenntnisse aneignen müssten – ohne jede Diskriminierung, vielmehr unterstützt als willkommene Bereicherung des Lehrkörpers.

Die Vorteile einer solchen Neukonstruktion des Lehrerberufs lägen auf der Hand. Zum einen ließen sich derart die heutigen Notlösungen in ein positives Konzept einbetten. Der 38-jährige Architekt, der den Mathematik- oder Kunstunterricht übernimmt, wäre der Baustein für eine sich verändernde Schule, nicht der Lückenbüßer, auf den man mitleidig herabschaut.

Zum andern würde die Öffnung der Schule zur Gesellschaft hin auch personell glaubwürdig werden. Die Biologin aus einer Chemiefirma würde Industrieforschung und Ökologie qua Person zur Debatte stellen. Bisher, so meine Wahrnehmung, sind Lehrkräfte, die nicht den normalen Berufsweg: Schule – Universität – Schule durchlaufen haben, Außenseiter. Ihre frühere berufliche Tätigkeit, egal ob medizinisch-technische Assistentin, Polizist oder Logopädin, spielt keine Rolle. In Zukunft sollten solche beruflichen Erfahrungen positiv genutzt werden – für den Anwendungsbezug der Naturwissenschaften oder die Relevanz ethischer Fragen.

Quereinsteiger sind also wichtig für die Schule und für ihre Veränderung. DIETER WUNDER

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