: Fressen für Ferraris Katze
Erst Splatter, dann Pop: In Italien gibt es eine junge Literaturszene, die kurze Sätze und schnelle Dialoge mag. Das gilt auch für Paolo Nori, der heute aus seinem Debütroman, „Weg ist sie“, im Italienischen Kulturinstitut liest
Learco Ferrari träumt von einer Karriere als Schriftsteller. Zwei Manuskripte hat er bereits an verschiedene Verlage geschickt, an einem dritten arbeitet er gerade. Ein Verleger sagt zu ihm, sein neuer Roman bringe ihn zum Lachen, sei aber genauso wie der vorherige: „Ist das ein Mangel? frage ich. Es ist einer.“
Der in Bologna lebende Italiener Paolo Nori hat mit „Weg ist sie“ einen Roman über das Dasein eines angehenden Literaten geschrieben. Über einen 35-jährigen Akademiker, der von seiner Freundin Bassotuba verlassen wurde und sich als Lagerarbeiter und Übersetzer mehr schlecht als recht über Wasser hält. Und der außerdem versucht, mit der Schriftstellerei die letzten Züge seiner Jugend vor dem verhassten Spießertum zu bewahren: „Die Designeruhren. Die Aftershaves. Kauf sie nur. Aber wenn du was Anständiges lesen willst, vielleicht findest du dann auch was von mir in den Regalen der Buchhandlungen.“
Learco Ferrari ist Paolo Noris Alter Ego, und zwar bis ins letzte biografische Detail. Nur ist Nori, Jahrgang 1963, natürlich einen Schritt weiter. Die langwierige und deprimierende Suche seines etwas selbstmitleidigen Antihelden nach einem Verleger hat dieser bereits hinter sich. Der renommierte Einaudi-Verlag hat sich seiner angenommen. „Weg ist sie“ ist der zweite von derzeit vier Romanen und der bisher einzige auf Deutsch.
Seit etwa Mitte der 90er-Jahre brachte der italienische Literaturbetrieb eine Reihe junger neuer Autoren hervor. Allen voran Enrico Brizzi und Giuseppe Culicchia, die 20- und 28-jährig 1994 mit „Ein verdammt starker Abgang“ bzw. mit „Knapp daneben“ debütierten und sofort einen riesigen, auch kommerziellen Erfolg feiern konnten. Angestoßen wurde dieser Trend zum Generationswechsel in Italien unter anderem durch die Anthologie „Under 25“, mit der der Schriftsteller Pier Vittorio Tondelli vielen Nachwuchsautoren ein erstes Forum bot. Parallel dazu traten die „Cannibali“ (gleichnamige Anthologie bei Einaudi) in Erscheinung, eine Gruppe ebenfalls junger Autoren, die großstädtische Horrorszenarien und Splatter mit viel Blut, Gewalt und Drogen beschreiben: Pulp-Literatur.
Durch den anfangs enormen Medienhype und die große Popularität bei den unter 30-Jährigen provozierten sie 1996 eine kontrovers geführte öffentliche Auseinandersetzung über neue stilistische Mittel des Erzählens. Nach etwa drei Jahren zerplatzte diese hauptsächlich medieninszenierte Seifenblase, hinterließ jedoch einen bereiteten Boden für weitere neue, weniger blutrünstige Erzählformen. Einen guten Überblick dazu bietet der 1997 beim Italienspezialisten Wagenbach erschienene und von Gabriella d’Ina herausgegebene Sammelband „Italia fantastica“.
Obwohl nun Paolo Nori inhaltlich nichts mit seinen Menschen fressenden Schriftstellerkollegen zu tun hat, teilt er mit diesen doch stilistische Eigenheiten: kurze Sätze, schnelle Dialoge, Alltagssprache. Inhaltlich wird demonstrativ jede noch so kleine Nichtigkeit des Alltags beschrieben, ein sinnloser Telefonanruf, wie sich die Tagesausgaben zusammensetzen oder was die Katze Paolo am liebsten frisst.
„Weg ist sie“ ist ein einziger langer Monolog des erzählenden Ichs Learco Ferrari. Alles bekommt die gleiche Berechtigung, den gleichen Stellenwert, wird einverleibt und reflektiert, ohne Ordnung und Dramaturgie. Zumindest Learco Ferraris Talent wird schließlich von der „Vereinigung der Himmlischen Kritikerfürsten“ beurteilt, die jungen Engel sind für ihn, die alten gegen ihn. JÖRG PETRASCH
Heute, 20 Uhr, Italienisches Kulturinstitut, Askanischer Platz 4
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