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Verstörungen der Langeweile

Drei Jahrzehnte Konzeptkunst, dann eine höhere Ebene: Die Retrospektive „Absolute Windstille“ der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn zeigt das fotografische Werk des Transformers Jürgen Klauke

Er startete auf einer Welle der Popkultur und glitt weiter in großer Windstille. Lange schien die sexuelle Revolte der Schauplatz der Selbsterfindung, bis sie abgelöst wurde durch die Verstörungen der Langeweile. In der Werkschau von Jürgen Klauke „Absolute Windstille“ reist man durch drei Jahrzehnte Performance und erreicht die nächste Ebene: Von der Steigerung des Lustgewinns im Diesseits zur Vorbereitung auf die Fahrt ins Jenseits. Adieu Eros, willkommen Thanatos. So wird man mit dem Prozess des Älterwerdens versöhnt.

Am Anfang prägte die Signatur einer Epoche die Rollen des Künstlers, der seit 1968 in Köln lebt. Irgendwo zwischen Jesus-Freak und Pop-Idol, Sex-Maniac und Lederfetischist, Kunst und Szene fanden in den frühen Siebzigerjahren die Inszenierungen des knapp dreißigjährigen Künstlers statt. Ihre sexuelle Konnotierung war so überdeutlich, dass weitere Fragen oft gar nicht erst aufkamen. Er streckte der spröden Intellektualität der Konzept- und Fluxuskünstler, die im Rheinland gerade Anerkennung fanden, die Zunge raus und hielt sich lieber an Lou Reed und die Warhol-Factory. Dabei nahmen Travestie und Camouflage eine rheinische Färbung an: Über die Kunstszene hinaus wurde Klauke zum stadtbekannten Original, wenn auch diese breite Rezeption auf einer Verwechslung von Autor und inszenierten Rollen beruhte.

Schnauzbart und Eyeliner, lackierte Fingernägel und Ketten auf der haarigen Brust: Dieser geschlechtlichen Zweideutigkeit des neunteiligen Fototableaus „Ich + Ich“ von 1970/2000 stellt Klauke jetzt in Bonn 96 „Antlitze“ gegenüber, gesammelt zwischen 1972 und heute. Es sind stark vergrößerte und gerasterte Zeitungs- und Fahndungsfotos von Maskierten, Vermummten, Verschleierten, für die das Verstecken oft viel mehr von der eigenen Identität verschlang als vorhersehbar war. Sie bilden das einzige dokumentarische Material der Ausstellung und markieren einen Zeithorizont, in dessen Verlauf die Ideale des Anarchismus und politischen Widerstands viel von ihrer Romantisierung eingebüßt haben.

Die „Boddys“ von 1970, die Beine und Torsi aus Stoff miteinander verknotet in einer Trümmerlandschaft zeigten, setzten die Geschichten von Bellmers Puppenträumen fort. Es folgten verschnürte und bandagierte Körper und schließlich in der Serie „Transformer“ die Ausstattung mit ausgepolsterten Schamlippen und vielfachen Stoffhörnchen, die über den Körper wanderten. Diese Extensionen des Körpers ließen sich nicht mehr eindeutig männlicher oder weiblicher Sexualität zuordnen, sondern setzten sie wie in einem dadaistischen Puzzlespiel stets neu zusammen. Sie ließen aber auch neben der Sexualität nicht viel übrig, woran die Identität sich hätte festhalten können.

Im Eingang der Kunsthalle geht man über Pflastersteine, in die die Namen von an Aids gestorbenen Künstlern eingraviert sind. Die Krankheit veränderte den Blick auf den Körper; die kurze Euphorie von der Befreiung aus einengenden Identitätsmustern wich der Bestürzung über seine Verletzbarkeit. Anfang der Achtzigerjahre verlieren auch die Fotosequenzen von Jürgen Klauke ihre Unbefangenheit und gute Laune. Die Ressourcen des Ich werden nicht mehr so leicht aufs Spiel gesetzt. Die Gesten werden bescheidener und vieldeutiger zugleich.

Die Arbeit an der „Formalisierung der Langeweile“, wie eine große Werkgruppe heißt, beginnt. Als abdichtende Maßnahmen gegenüber der Leere und dem Nichts, die das Leben von außen bestürmen, beschreibt die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen im Katalog die Rhythmisierung von Bewegung und Stillstand in den Bildfolgen. Der Künstler stülpt sich einen Eimer, einen Stuhl oder ein Jackett über den Kopf. Die Serien sind aufgebaut wie Altarbilder, die in Stationen das Leben Christi erzählen, aber sie verweigern den Fortgang einer Geschichte, geschweige denn Erlösung. Die Zeit steht in ihnen still. Einmal sind sie angeordnet wie ein Kalenderblatt, das für jeden Tag die gleiche Dunkelheit vorsieht mit dem Kopf im Eimer. Die Suche nach Sinn tritt auf der Stelle.

Die Werkkomplexe „Sonntagsneurosen“ und „Desaströses Ich“ führen neue Requisiten ein: Tische, Stühle, Schaukeln und Spazierstöcke werden in diesem formalen Tanz zu Mittlern der Welt, zu Abstandhaltern und Vermessungsinstrumenten. Klauke wandert durch seine Fototafeln wie die Herren mit Melone durch die Bilder des belgischen Surrealisten Magritte.

„Wir suchen überall das Unbedingte und finden immer nur Dinge“, begann der Dichter Novalis vor über 200 Jahren seine Fragmentsammlung „Blütenstaub“. An diese Erfahrung erinnert die Präsenz, die allmählich die Objekte in Klaukes Handlungen vor der Kamera einnehmen. Daneben treten in den Neunzigerjahren Röntgenbilder: „Toter Fotograf“ heißt ein Bild, auf dem dieser mit angewinkelten Beinen und Kamera durchleuchtet wird. Man glaubt, in ein Grab zu schauen, und blickt auf das Jetzt zurück wie auf eine längst untergegangene Epoche.

In einem Seitenraum liegen in Vitrinen ältere Alben aus, die eine viel größere Intimität als die Tableaus ausstrahlen. Klaukes Werk hat sich transformiert, frühe Motive haben eine neue Bearbeitung erfahren. Der Rückblick hat das Werk vom Dreck der Straße und den Unwägbarkeiten des öffentlichen Auftritts gereinigt. Die Ausstellung, die im Anschluss im Staatlichen Russischen Museum St. Petersburg und in der Hamburger Kunsthalle gezeigt werden wird, betont seine Pionierrolle im Einsatz der Fotografie. Seit 1993 ist Jürgen Klauke Professor für künstlerische Fotografie an der Kunsthochschule für Medien in Köln.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„Absolute Windstille. Jürgen Klauke –Das fotografische Werk“, bis 8. 7., Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Der Katalog mit Texten von Peter Weibel, Uwe. M. Schneede, Elisabeth Bronfen, Diedrich Diederichsen und Slavoj Žižek kostet 118 DM.

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