IM KOSOVO-KRIEG HABEN JOURNALISTEN POLITIKERN ZU VIEL GEGLAUBT
: Operation Feindbild

„Alles geht sozusagen wieder mit der Grundschule los“, stöhnte FAZ-Korrespondent Matthias Rüb. Weil die Autoren der WDR-Dokumentation „Es begann mit einer Lüge“ in Sachen Kosovo-Krieg „den (Scharf-)Richter“ gegeben hätten, beginne jetzt „für diejenigen, denen weiterhin an der Sache liegt“, ein „quälender Prozess“: Leute wie Rüb müssten „nun noch einmal buchstabieren“, warum die Nato auf dem Balkan Krieg führen musste. Quälend jedoch scheint eher die Einsicht zu sein, dass der Lehrplan der Grundschule tatsächlich ein paar Änderungen nötig hat. Auf den „Hufeisenplan“ etwa sollte in Zukunft verzichtet werden.

Zwei Wochen nach Kriegsbeginn hatte die Bundesregierung diesen Plan zur Vertreibung der Kosovo-Albaner präsentiert. Angeblich stammte das Papier aus Serbien. Doch bereits im April 1999 gab es Hinweise darauf, dass es sich beim „Hufeisen“ nicht um eine Belgrader Planung handelte. Die hätten den Medien auffallen müssen. Aber die „Vierte Gewalt“ hatte wohl vergessen, dass man Regierungen auch im Krieg hinterfragen darf. Tatsächlich zeigen Journalisten bis heute wenig Interesse an einer Aufarbeitung. So dreht sich die Kontroverse um den WDR-Beitrag fast ausschließlich um Manipulationsvorwürfe gegen die Autoren. Doch das ersetzt weder eine Debatte über die journalistische Distanzlosigkeit während des Krieges noch über den Hang deutscher Politiker zur Fiktion. Oder darüber, was wirklich im Kosovo geschah.

Unbestritten, dass die Kosovo-Albaner jahrelang diskriminiert wurden. Aber sicher ist auch, dass sich die Dinge in den Wochen vor den Nato-Angriffen nicht so schwarz-weiß zugetragen haben, wie sie von der Bundesregierung dargestellt – und von den meisten Journalisten übernommen wurden. Diese Diskussion bleibt weiterhin außen vor, wenn der WDR für seine medienethischen Prinzipienlosigkeiten geprügelt wird – nicht selten gerade von den Kollegen, die sich während des Kosovo-Krieges ganz besonders prinzipienfest gezeigt haben: in Treue zu den Nato-Bomben.

Krallen gegen die einen, Samthandschuhe für die anderen. Auf die Frage, ob die Bundesregierung die öffentliche Meinung manipuliert habe, rang sich FAZ-Korrespondent Rüb mühsam zur Verurteilung des „rhetorischen Overkills“ durch deutsche Politiker durch. Wer eine Lüge nicht Lüge nennt, braucht ihr auch nicht auf den Grund zu gehen. Daraus lässt sich entweder lernen, dass es einfach nicht darauf ankommt, ob es den Hufeisenplan je gegeben hat. Oder man folgert, dass es um etwas anderes geht: um die Deutungshoheit im Kosovo-Krieg zum Beispiel. TINO MORITZ

Der Autor studiert Journalistik und Politik in Leipzigmedien SEITE 16