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Erst der Kniefall, dann die Crew

Ohne politische Demütigung kommen die beim Spionieren ertappten USA nicht davon: Die Besatzung des Flugzeugs darf vorerst nicht nach Hause

von STEFAN SCHAAF

Die Schiffsbesatzung der „USS Pueblo“, die 1968 auf einer Spionagefahrt von Nordkorea aufgebracht wurde, beneidet die Mannschaft des EP-3E Aries-Spionageflugzeugs nicht um ihre missliche Lage. Damals hatte die Crew der „Pueblo“ vier Stunden Zeit, geheimes Gerät und die gewonnenen Daten zu zerstören und so den Nordkoreanern vorzuenthalten (siehe Kasten).

Die 24 Besatzungsmitglieder der EP-3, die vor fünf Tagen zur Notlandung gezwungen wurde, hatten weniger Zeit. Gerade eine halbe Stunde verging zwischen dem Zusammenstoß mit einem chinesischen Abfangjäger und der Notlandung auf der Insel Hainan – nicht genug, um die High-Tech-Apparaturen an Bord des Aufklärungsflugzeuges unbrauchbar zu machen.

Was in einem solchen Fall zu tun ist, weiß das fliegende Lauschpersonal genau: Dateien löschen, Festplatten sauber putzen – und wenn das nicht ausreicht, stehen spezielles Sprengmaterial und auch der bewährte Hammer zur Verfügung. Teile des elektronischen Geräts, heißt es aus dem Pentagon, lägen jetzt auf dem Meeresgrund. Was in chinesische Hände gelangt sei, verrate keine Geheimnisse mehr.

Die EP-3 gehört zu einem Dutzend Maschinen gleichen Typs, die für die US-Nachrichtendienste im Einsatz sind. Sie können zwölf Stunden in der Luft bleiben und haben einen Aktionsradius von etwa 5.000 Kilometern – groß genug für die Zwecke der USA, die in Ostasien und im Pazifik über zahlreiche Luftwaffenstützpunkte verfügen. Es handelt sich um extrem zuverlässige Turboprop-Flugzeuge, die zwar altmodisch aussehen mögen, deren Inneres allerdings mit modernsten Gerätschaften zum Abhören von Funksignalen, Telefongesprächen und Faxübermittlungen gespickt ist. Sie werden in dieser Ausführung grundsätzlich nicht exportiert. Ihre wichtigste Funktion ist, den genauen Ort militärischer Stützpunkte, Funkeinrichtungen oder Schiffe zu überwachen und die sich ständig ändernden Frequenzen zu ermitteln, auf denen kommuniziert wird. „Im Prinzip fliegen sie Chinas Küste ab und schauen nach, wer zu Hause ist“, wird der Luftwaffenexperte John Pike in der Washington Post zitiert. Es gehe, bildlich gesprochen, bei derartigen Flügen darum, ein stets aktuelles Telefonbuch des chinesischen Militärs zu erstellen.

Die Vereinigten Staaten haben vielerlei Anlass, diese Region genau im Auge zu behalten: Nordkoreas mutmaßlicher Raketenbau, der mit ein Grund für die US-Pläne für ein Raketenabwehrprogramm war; dann der Streit zwischen Japan und Russland um die Kurileninseln; vor allem aber die schwelenden Spannungen zwischen China und Taiwan und die für die USA stets schwer einzuschätzenden Großmachtambitionen des Reichs der Mitte. Schon ein Jahr vor George W. Bushs Amtsantritt nannte Condoleezza Rice, seine Sicherheitsberaterin, den Konflikt zwischen Peking und Taipeh den für die USA diffizilsten und potenziell gefährlichsten auf dem Globus.

Just in diesen Wochen soll über das Begehren Taiwans entschieden werden, von den Vereinigten Staaten mit dem hochmodernen Aegis-Radar ausgestattete Zerstörer zu erwerben. Dabei ist es für keine Seite ein Geheimnis, dass Nachrichtendienste mit allen Mitteln der Elektronik versuchen, Informationen zu gewinnen. Dennoch sorgt es jedes Mal für diplomatische Verwicklungen, wenn diese Horchaktionen öffentlich werden. Ohne politische Demütigung kommt der Ertappte selten davon, andererseits ist das Potenzial für eine Ausweitung der Krise groß.

Bislang tasten sich beide Seiten ab. Ein Pentagonsprecher wollte sich am Mittwoch auf Befragen nicht festlegen, ob die 24 Mitglieder der Flugzeugbesatzung derzeit Geiseln, Gefangene oder Gäste der Chinesen seien. Die Zeit für eine Beilegung der Krise laufe ab, eine Rückkehr der Flugzeugcrew sei überfällig, erklärt Bushs Pressesprecher Ari Fleischer. Und Außenminister Colin Powell bedauert das Schicksal des chinesischen Piloten, der nach dem Zusammenstoß mit dem US-Flugzeug abgestürzt und ums Leben gekommen sei – doch die verlangte förmliche Entschuldigung blieb aus.

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