piwik no script img

Das rote Tuch in der Karl-Marx-Allee

Die Benennung einer Szenekneipe nach dem sowjetischen Schriftsteller Ehrenburg ruft Rechtsradikale auf den Plan

„Eine Gruppe von mehr als zehn Personen baute sich vor dem Café auf undpöbelte die Gäste an“

Die Karl-Marx-Allee in Friedrichshain wird langsam zur neuen Berliner Szenemeile. Das Café Ehrenburg, das dort kürzlich in unmittelbarer Nähe des U-Bahnhofs Weberwiese geöffnet hat, liegt da ganz im Trend. Die spartanische Innenausstattung mit sowjetischen Flair wird von einem matten Licht beschienen. In einem Wandregal stapeln sich die gesammelten Werke von Lenin und Stalin.

Der Besitzer des In-Cafés, Lutz Penndorf, gilt als Szene-Trendsetter. 1991 eröffnete er das Café Silberstein in der Oranienburger Straße. Wenige Jahre später folgte das Café Schwarzsauer in der Kastanienallee, lange bevor die Gegend zur Szenemeile wurde. Mit seinem Domizil in der ehemaligen Stalinallee glaubt Penndorf ebenfalls einen guten Riecher zu haben. „Viele junge Leute werden hierher ziehen. Hier kommt was in Bewegung.“

Doch die Bewegung, die das Café Ehrenburg bisher ausgelöst hat, hat er damit wohl nicht gemeint. Seit der Eröffnung sieht sich die Szenelokalität nämlich einer Rufmordkampagne wegen ihres Namensgebers ausgesetzt. Der sowjetische Schriftsteller Ilja Ehrenburg hatte unter anderem während seiner Zeit als Propagandist der Roten Armee gegen die Nazis die Parole ausgegeben: „Ein Tag, an dem du keinen Deutschen getötet hast, ist ein verlorener Tag.“

„Einen Mokka auf die Mörder“, titelte nun eine Berliner Vertriebenenzeitung über das Café, das sich nach „Stalins Kriegshetzer“ nenne. Und in anonymen Flugblättern, die in der Umgebung des Lokals verteilt wurden, werden noch ganz andere Töne angeschlagen. „Das jüdische Leben breitet sich aus“, heißt es dort zur Einstimmung. Ehrenburg wird darin als „bolschewistischer Volksverhetzer“ mit „abartigen Veranlagungen“ charakterisiert. Die Schreiben endeten mit der Drohung „geeignete Maßnahmen durchzuführen, um der Verherrlichung des Psychopathen Ehrenburg entgegen zu treten“.

Es blieb nicht bei Worten. „Eine Gruppe von mehr als zehn Personen baute sich vor dem Café auf und pöbelte die Gäste an“, berichtet der Ehrenburg-Barkeeper. Nachdem dies mehrfach passierte, habe man schließlich die Polizei rufen müssen.

Doch die Café-Betreiber setzten sich auch inhaltlich mit den Angriffen auseinander. In der Umgebung des Cafés verteilten sie einen Artikel, der die Vorwürfe gegen den Schriftsteller zerpflückt. Dessen Verfasser weist nach, dass schon die Nazis den Juden und Kommunisten Ehrenburg, der während des zweiten Weltkrieges patriotische Gedichte für die Rote Armee schrieb, zum besonderen Hassobjekt aufbauten.

Nach 1945 war es vor allem die rechtsradikale Nationalzeitung, des Chefs der Deutschen Volksunion (DVU) Gerhard Frey, die die Kampagne gegen Ehrenburg fortsetzte.

In den 60er-Jahren gab es zahlreiche Morddrohungen gegen den westdeutschen Kindlerverlag, als der Ehrenburgs Schriften auf Deutsch herausgab.

Dass auch im Jahr 2001 der Name Ehrenburg für manche noch immer ein rotes Tuch ist, erstaunt die Café-Mitarbeiter denn doch. „Wir waren erschrocken über das Ausmaß an antisemitischen und antikommunistischen Verleumdungen“, erklärt der Barkeeper. PETER NOWAK

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen