: Das verflixte 13. Jahr
Das dröge Thema: Kaum verbietet der Berliner Innensenator wegen ein paar demowütiger Naturschützer die Neuauflage der Love Parade, schon sorgt sich ganz Deutschland um Tanzflächen für die schulpflichtige Techno-Jugend. Nur der Kanzler schweigt
von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
Es muss an der verflixten 13 liegen. Mit Rationalität ist nicht mehr zu erklären, was derzeit in der Hauptstadt los ist. Zwölf Mal fand die Love Parade in Berlin statt. Anfangs tanzten 150 Hanseln auf dem noblen Kurfürstendamm zu Technobeats. Seit 1995 trampeln bis zu 1,5 Millionen Raver mit Plateauschuhen den Großen Tiergarten platt, von Friedrich II. einst als erste öffentliche Parkanlage Berlins hergerichtet.
Jahr für Jahr wurden der Urin von tausenden von Ravern, malträtierte Büsche, geschundene Bäume und von harten Beats dahingeraffte Vögel von der Stadt in Kauf genommen. Warnungen von einsam auf weiter Flur kämpfenden Stadträten vor einer „Steppe ohne Unterholz“ wurden in den Wind geschlagen. Bei jährlichen Einnahmen von 250 Millionen Mark kann die Natur schon mal ein paar Federn lassen, lautete die Parole. Die wächst ja im Vergleich zur Wirtschaft der Hauptstadt wieder.
Und plötzlich, im verflixten 13. Jahr, soll nichts mehr sein, wie es einmal war? Keine Ecstasy-Pillen mehr im historischen Parkgelände, keine barbusigen Mädchen mit Sonnenblumen im Haar, keine 16-jährigen pickligen Jungen aus der Provinz, die ihre behaarten Beine mit bodenlangen Röcken bedecken, kein Gotthilf Fischer am Brandenburger Tor mit einem von Technobeats unterlegten „Hoch auf dem gel-ben Waaa-aagen“ und anschließendem „Drogenrausch“ durch „Glückspillen“ im Bier, der sich später als „Unwohlsein“ in Folge von Stress auf der Love Parade entpuppte? Und auch keine Junge Union, die Kondome verteilt, keine CDU-Politiker mit verwegenen Basecaps und wippenden Füßen, keine Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, die sich als „aufgeschlossene Organisation“ ausgibt, und auch kein Bildungsurlaubsseminar mehr für Bundeswehrangehörige wie im vergangenen Jahr, als sich Schiffsärzte und niedrigere Ränge über schnelle Beats und Partypillen aufklären ließen?
Vergessen sind im Jahr 2001 all die peacigen Mottos, die sich Planetcom, der Veranstalter der Love Parade, immer so schön ausgedacht hatte. Statt „Peace on Earth“, „We are one family“ oder „One world one Love Parade“ heißt es jetzt: „Die oder wir.“
Wie konnte es so weit kommen, dass sich kaum noch jemand traut, auf diese Stadt zu schauen? 15 Aktivisten einer Bürgerinitiative haben durch rechtzeitige Anmeldung ihrer Demonstration den Ravern das Wasser abgegraben.
Ein Szenario, vor dem die für Demonstrationsanmeldungen zuständige Versammlungsbehörde schon lange zitterte. Deshalb haben deren Mitarbeiter „bis an den Rand der Neutralität“ den Organisatoren der Parade immer und immer wieder geflüstert: Macht eure Anmeldung! Doch Planetcom, als wären sie an ihren lauten Beats ertaubt, wollte nicht hören. So müssen sie jetzt fühlen. Und das tut weh.
Zur Schmerzlinderung beharren sie darauf, ein Anrecht auf „ihr“ Datum und „ihren“ Ort zu haben. Punkt. Aus. Auf ihrer Homepage prangt siegessicher: „Love Parade 2001 Berlin: 14. Juli, 14 Uhr, Straße des 17. Juni“.
Von der Bürgerinitiative, die im vergangenen Jahr auf einer Versammlung einen „Bürgerkrieg“ prognostizierte, verlangen sie Kompromissbereitschaft. Doch deren Sprachrohr, Hans-Heiner Steffenhagen, ein Abteilungsleiter a. D., der die Beatles, Dixieland und Swing liebt und sich mit Victory-Zeichen in den Zeitungen feiern lässt, zeigt sich unbeugsam und entgegnet: „Keine Kompromisse.“
Interessant ist, mit welchem Argument Planetcom Ausweichtermine wie den Freitag vor oder den Sonntag nach dem traditionellen 14. Juli ablehnen: mit dem Verweis auf das schulpflichtige Alter vieler Raver. Man wolle sie nicht zum Schuleschwänzen auffordern, sagen die Macher, die selbst gerne auf Pressekonferenzen ihre Unterlagen in alte Schulranzen – made in DDR – packen.
Noch interessanter ist es zu sehen, wer in dieser schweren Stunde sein Herz für die Schulpflicht entdeckt. Berlins Tourismuschef schimpft „Possenspiel“ und „Peinlichkeit“. Das Verbot sei ein erheblicher Imageverlust für die Stadt. Eiligst verschickte er Briefe an alle Auslandsvertretungen weltweit, um internationale Reiseveranstalter zu informieren. Bei der Deutschen Bahn, die im vergangenen Jahr 60 Sonderzüge auf die Reise nach Berlin schickte, damit ja niemand zu spät zur Schule kommt, biegen sich die ersten Weichen. Schließlich ist schon seit Januar eine Projektgruppe mit einer „reibungslosen An- und Abreise“ befasst. Und auch das Berliner Entsorgungsunternehmen Alba, das in den vergangenen Jahren mit wachsender Begeisterung den Scheiß der Raver entsorgte, fürchtet nun um den Verlust einer „wichtigen kosmopolitischen Veranstaltung“ für Deutschlands Jugend.
Wenn einem so viel Blödheit beschert wird, ist das nicht einen Asbach Uralt wert, sondern da ist das harte Eingreifen der Politik gefragt. Rezzo Schlauch war einer der Ersten, der den Ernst der Lage erkannte und sich zu Wort meldete. Der Fraktionschef der Bundestagsgrünen erklärte: „The Rave must go on“. Hä? Der ehemalige drogenpolitische Sprecher der Grünen scheint dröger politischer Stehempfänge überdrüssig zu sein und probte vor wenigen Tagen schon mal die Verbindung von Politik und Kultur. Er lud Regierungsmitglieder in Berlins ältesten Szene-Club, die Diskothek „90 Grad“, die sich in gefährlicher Nähe zu einem stadtbekannten Drogenstrich befindet. Der Betreiber sagte in der Bild über die Grünen und Schlauch: „Eine Partei, die am wenigsten zu unserem Club passt. Aber Rezzo steht für Lebensfreude und Party.“ Hm.
Ein Lob, auf das der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, noch wartet. Der Fachmann in Sachen Hauptstadtdemos bezeichnet das Gezerre als „peinlich provinziell“ und zweifelt gar an der „Hauptstadtfähigkeit“ des Berliner Innensenators.
Während der Kanzler sich noch mit einem Machtwort zurückhält, buhlen längst andere Städte um die Love Parade. Asyl für die über eine Million Raver wollen bieten: Hannover, Düsseldorf, Frankfurt, Leipzig, das Ruhrgebiet mit der Autobahn A 40, Magdeburg. Planetcom lässt sie alle am ausgestreckten Arm verhungern und schweigt.
Stattdessen gibt es Ankündigungen, die Love Parade, als sei es ein Schokoriegel, munter in die ganze Welt zu exportieren: im Juli ins britische Newcastle, im September nach Barcelona, im Dezember nach Buenos Aires. Auch Moskau, St. Petersburg und Liverpool sollen den Technosegen bekommen. Im vergangenen Jahr gab es Ableger in Tel Aviv, Kapstadt, Wien und Leeds.
Bei so viel internationalem Flair soll ausgerechnet Deutschland fehlen? Noch ist das Kind nicht in den Brunnen gefallen. Eindeutiger Favorit unter den Möchtegern-Ravern ist Leipzig. Unbedingt! Denn in der Messestadt demonstrierten im Jahr 1989, dem Geburtsjahr des Technospektakels, ebenfalls Loveparade-mäßige Massen. Und denen ging es auch um Peace und so. Außerdem ist die Mundart in der sächsischen Tieflandbucht bestens geeignet, den bisher erlittenen Imageschaden vergessen zu machen. Dort heißt es selbstbewusst: „Kopf hoch, auch wenn der Hals drecksch ist.“
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