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Berliner Enthusiasmus

Wie wir am Wochenende wieder mal gemeinsam die Welt gerettet haben: Bei der zweiten Lesershow im Roten Salon der Volksbühne waren die Übergänge zwischen Schriftstellern und Zuhörern fließend

Man denkt an Boygroups,weil die Lesebühnenweitgehend frauenfrei sindund die Dichter nett aussehen

von DETLEF KUHLBRODT

Die Einladung klang zunächst etwas entmutigend: „Ob Under- oder Overground, ob blutjunger Debütant, literarischer Jungstar, Slampoet, Vorleser oder Berlins schönste Schriftsteller – drei Tage lang betreten über 20 junge Berliner Autoren und Autorinnen die Lesebühne und feiern eine große Lesershow-Party.“ – Na prima.

Zunächst dachte man, es würde sich um eine weitere dieser entnervenden Literaturmassenveranstaltungen handeln, bei denen 100 Dichter auf sechs Bühnen parallel irgendwas vorlesen, damit auch für jeden etwas dabei ist und alles in einem Morast der Beliebigkeit versinkt. Dann war es aber doch ganz anders. Alles fand an einem Ort statt – im Roten Salon in der Volksbühne –, die Autoren lasen hintereinander, das „jung“ im Titel der Veranstaltung war eher weiter gefasst – so ähnlich wie beim „Internationalen Forum des Jungen Films“, das Durchschnittsalter lag also so etwa bei dreißig –, und vor allem amüsierte man sich sehr. Wobei es vielleicht nicht ganz so passt, von Amüsement zu sprechen, wenn man drei bis vier Stunden an den Abenden, im engen Gedränge eingequetscht zwischen tausend rauchenden Leuten, herumsteht und an seiner Zigarette japst oder später in einer Ecke auf dem Boden herumliegt, während die AutorInnen meist spaßige Geschichten vorlasen.

Auf der Bühne stand der Kollege Falko Hennig im gelben Hemd und las was aus seinem Romanprojekt „Speers fünfter Ring“. Das spielte in einer Autowerkstatt namens „OM“. Der Autor wurde begleitet von Dias mit Pollern, die Helmut Höge an die Wand warf. Dann betrat Carl-Johan Vallgren die Bühne. Der Schwede ist nicht nur Romancier, sondern auch Dramatiker und Chansonnier. Er beschimpfte so bernhardmäßig seine Heimat und hob in seiner Beschimpfung besonders das „viehische“ wochenendliche Trinkgebaren seiner Landsleute hervor, bei dem auch viel gekotzt wird. Jakob Hein, der schlanke Moderator, ergänzte: Ihm sei in Schweden aufgefallen, dass es in den Toiletten schwedischer Clubs immer auch Kotzbecken gebe.

Jakob Hein kommt aus der Reform- und Lesebühnenbewegung. Allsonntäglich trägt er im Kaffee Burger in der Reformbühne „Heim & Welt“ seine Sachen vor. Manchmal wird er beim Vortragen von seinem Telefon unterbrochen. Dann muss er weg. Denn nebenbei ist Jakob Hein auch Arzt und für die Notfälle unserer Stadt zuständig.

Seit einigen Jahren machen ja die Reformbühnen von sich reden. Zum Beispiel die „Surfpoeten“, „Heim & Welt“, wie gesagt, oder auch die in Friedrichshain beheimate „Chaussee der Enthusiasten“. Man denkt an Boygroups, weil die Lesebühnen weitgehend, wenn auch ungewollt, frauenfrei sind und die Dichter nett aussehen. Und am Ende ihrer Auftritte singen sie ja oft auch Lieder. Zum Beispiel „Wir sind die Kinder von Lichtenberg, oho“ („Chaussee der Enthusiasten“).

Außerdem gibt es auch bestimmte Popmusikstücke, die bei den Reformbühnenabenden immer wieder gerne gespielt werden. Das immer wieder beliebte Stück „Beatgeneration“ („Some people like to rock, some people like to roll / but me I like to sit around and satisfy my soul“) oder Freddy Quinns „Heimatlos“ zum Beispiel.

Die Lesershow wurde jedenfalls von den Reformbühnendichtern geprägt. Von dem unglaublich komischen Ahne, der noch mal erzählte, wie er mal die Welt rettete, von Jochen Schmidt, der neulich einen „Triumphgemüse“ betitelten Erzählungsband veröffentlichte, von Robert Naumann, Dan Richter, Volker Strübing, Stefan Zeisig und Wladimir Kaminer, dessen Geschichten noch komischer sind, wenn er sie laut vorliest.

Schön waren auch die Texte von Marlin Schwerdtfeger, in denen es um eine Hippiemutter ging, die Trekking-Guides schreibt und ständig durch die Welt braust. Auffällig war, dass viele der Berliner Dichter eher langsam berlinerisch intonierten; auffällig war auch, dass die meisten Geschichten witzig waren und das Publikum so amüsiersüchtig schien wie in einer Disko und oft schon anfing zu kichern, wenn es eigentlich noch gar nichts zu kichern gab.

Die Übergänge zwischen Autoren und ihren Zuhörern sind fließend. Außerdem ist das alles sowohl befreit von dem kirchlichen Ernst, von dieser weihevollen Gestimmtheit, in der traditionellerweise derlei Veranstaltungen stattzufinden pflegen – und auch von der manchmal peinigend gut gelaunten Atmosphäre kabarettistischer Witzveranstaltungen. So war das alles mal wieder sehr schön.

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