: Lustvoll bauen am Checkpoint Charlie
Berliner Schwerkraft
„Wer zuerst kommt, den belohnt das Leben! (frei nach Michail Gorbatschow)“, hieß es vor einigen Jahren im Anlegerprospekt der Firma SBB Stadtprojekt Betreuungs- und Betriebs-GmbH & Co KG, mit dem Käufer für Luxuswohnungen am Checkpoint Charlie gesucht wurden. Das aus 45 Grundstücken bestehende Areal kaufte die Central European Development Corporation (CEDC). „Wir bauen on spec“, wie Direktor Frank Schmeichel damals erklärte. Schmeichel war zuvor beim Berliner Immobilienhändler-Sender 100,6 als Sex-Talker beschäftigt. Nach seiner Zeit bei der CEDC erhielt er an der FU einen Lehrauftrag für Stadtmarketing.
Zu den CEDC-Hauptgesellschaftern zählen die beiden ehemaligen US-Botschafter Ronald S. Lauder und Mark Palmer sowie die zwei Westberliner Developer Henryk Berler und Abraham Rosenthal. Das Portfolio der CEDC ist seit dem Zusammenbruch des Ostblocks diversifiziert. Eine Zementfabrik in Estland, eine Bank in Ungarn und Fernsehsender in Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn sowie in Berlin und Nürnberg: „We invest American money in the former communist countries, that’s our Geschichte“, erklärte Mark Palmer, der frühere Chef-Kremlinologe der US-Regierung. Zwar standen bereits 1997 einige Millionen Quadratmeter „hochwertige Bürofläche“ in der Stadt leer, vor dem „German-American-Businessclub“ verbreitet Palmer jedoch Optimismus: „Berlin will be the style-idea-capital of Germany.“
Der Wohnanlage „Checkpoint Plaza“ komme dabei die Funktion eines „Trump Towers“ von Berlin zu. Ihre vier Eingangsbereiche wurden nach den Vornamen von US-Präsidenten benannt, jeder hat eigenen Wachdienst und Concierge-Service rund um die Uhr, und in einigen Wohnungen sind Türen und Fenster mit schusssicherem Panzerglas ausgestattet.
Bei der Beschreibung des Objekts kamen die Texter des SBB-Prospekts ins Schwärmen: „Checkpoint Plaza ist Ausdruck von Persönlichkeit, Zeitgeist und Erfolg ...“ Fast delirant geriet ihnen am Ende die Aufforderung an die Anleger: „Kommen Sie jetzt an den Punkt. Dem bekanntesten Punkt auf dem ‚i‘ der deutschen Geschichte: Checkpoint Charlie. Bauen Sie auf Zukunft: im Mittelpunkt deutscher Geschichte ...! Lassen Sie Ihr Kapital in Berlin punkten: Checkpoint Charlie wird Checkpoint Plaza!“
Um das Superambiente noch mehr zu forcieren, gründete Mark Palmer mit 37 anderen Firmen, darunter Siemens, Daimler-Benz, Sony und IBM, die Initiative „Investors for the Hauptstadt“, um Berlin nach dem Regierungsumzug endgültig zum Zentrum der Schwerkraft zu machen, wörtlich zum „center of gravity“. Die fünf Blöcke des Businesscenter Checkpoint Charlie wurden von den teuersten Architekten entworfen: das „Quartier 106“ von Philip Johnson, das „Quartier 105“ von David Childs aus dem Chicagoer Architekturbüro Skidmore, Owings und Merill (2.600 Angestellte).
Für die New Yorker Architekturkritikerin Mary Pepchinski gehören diese sowie einige andere ebenfalls in Berlin tätig gewordene amerikanische Architekten zur Elite: „Wird Berlin durch diese neuen Gastarbeiter gewinnen?“, fragte sie sich: „Wahrscheinlich nicht. Trotz ihres Renommees wäre es unwahrscheinlich, wenn die Architektur dieser elitären Gruppe eine Stadt verbessert. Ihre Bauten sind eher zynisch als demokratisch.“
Architekt Philip Johnson beklagte sich in einem Interview über die vom Berliner Senat auch am Checkpoint Charlie verfügte Traufhöhe: „Ich stimme mit der Berliner Haltung zum Problem der Stadtplanung nicht überein, ich finde sie völlig überholt und altmodisch. Mein Gebäude befindet sich am sensibelsten Standort überhaupt: in der Friedrichstraße. Dort soll genau nach den alten Baubestimmungen gebaut werden ... Wenn ein Gebäude das höchste am Ort ist, schreiben die Zeitungen darüber. Im Denken vieler Leute steht das größte Gebäude auch für das beste.“
Verschiedenen Tageszeitungen wurden später Prospekte der SBB für das Checkpoint Plaza beigelegt, in denen es hieß: „Ihr Sprung in die Steuerfreiheit“. Darunter befand sich das berühmte Foto vom NVA-Soldaten, der 1961 beim Bau der Mauer in voller Uniform über den Stacheldraht gesprungen war – und der vor drei Jahren Selbstmord verübte, weil ihm der damalige Sprung in den Westen kein Glück gebracht hatte. Jetzt soll der Jump in die andere Richtung gehen: „Im Westen Steuerlast – im Osten Steuerlust! Bestimmen Sie heute selbst Ihre monatlichen Zusatzeinnahmen, die Sie für eine komplette Altersversorgung brauchen.“
Der von Mark Palmer geprägte Begriff vom „center of gravity“ ist Wirklichkeit geworden. Der halbe Checkpoint-Charlie-Komplex steht heute leer, obwohl die Investoren vorerst nur die Hälfte bebaut haben – und Mark Palmer ist von Berlin wieder nach New York gezogen. Die Berliner Schwerkraft war stärker: Die Gegend zwischen Checkpoint Charlie und Mauermuseum kann man getrost wieder als einen der trostlosesten Orte in der Stadt bezeichnen.
HELMUT HÖGE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen