: Nur tanzen ist leichter
■ Die Aidsberatung vom Rat und Tat Zentrum feiert 15-jähriges Bestehen / Die Krankheit ist weniger sichtbar, aber die Zahl der Infizierten wächst
„Haust du meine Tante nicht – hau ich deine Tante nicht.“ Oder auch: „Stillstand“. Das ist das griffige Prinzip, auf das Arno Oevermann das Wirken der Großen Koalition bringt – Erkenntnis als Nebenprodukt langjährigen Arbeitens im Rat und Tat Zentrum für Schwule und Lesben. Dessen Aids-Beratung existiert jetzt seit 15 Jahren, heute Abend wird im Modernes gefeiert.
Dabei gibt es in Sachen HIV eigentlich wenig zu feiern. „Die Zahl der Infizierten wächst“, sagt Bernd Thiede, der bei Rat und Tat von Anfang an Beratungsarbeit macht, die Sterbefälle aber werden weniger. Neue Medikamente geben neue Perspektiven – „doch die Belastung bleibt; Aids wird zu einer chronischen Krankheit.“
Der Bedarf an Beratung bleibt. War es in den Anfangszeiten vor allem Aufklärungsarbeit für alle, darunter viele „Phobiker“, so Oevermann, die zu leisten war, so geht es jetzt weniger um den „durchschnittlichen, mittelschichtsorientierten Homo“, sondern um Menschen ohne Sozialversicherung, Obdachlose, Migranten.
Mit der medialen Omnipräsenz von Aids ist auch der sichtbare Schrecken des Virus verschwunden. „Viele denken, unsere Arbeit müsste jetzt leichter sein“, sagt Arno Oevermann. „Ein Trugschluss“, setzt Thiede hinterher. Gerade für die Jüngeren scheint die Bedrohung kleiner; Safer Sex werde immer weniger praktiziert. „Da muss man gegenhalten.“ Erklären, dass es um „Risikoabwägung“ geht und darum, „für sich selbst zu sorgen“.
Die Aids-Beratung im Rat und Tat Zentrum begleitet etwa 50 Menschen und ihre Angehörigen im Jahr; hinzu kommen rund 1.000 Beratungen sowie Aufklärung für Schulklassen und andere Gruppen.
Schwule werben für Tiefkühlkost, Lesben gehören zur „Verbotenen Liebe“ im Ersten – sind Homosexuelle in? Bernd Thiede referiert die Forderung der 70er und 80er: „Macht es öffentlich! So ist es geworden. In jeder Soap gibt es Schwule und Lesben, das ist gut, denn sie sind Teil der Gesellschaft.“ Er sag noch etwas von „platt“ und „ungelungenen Formen“, aber dann fast einstimmig mit Arno Oevermann: „Das ist ein Gewinn.“ Ein Gewinn wenigstens aus HIV und Aids, was mehr Bewusstsein und Akzeptanz für schwullesbische Lebensstile gebracht habe.
Kein Gewinn ist indes der Kampf ums Geld. Die Rat und Tat Aidsberatung hatte mal sechs, jetzt noch dreieinhalb Stellen oder vier Personen. Sie seien froh darüber, ihr Angebot gerade mal erhalten zu können, sagen Thiede und Oevermann. Das Gesundheitsressort zahlt die Personalkosten, alles Weitere muss das Zentrum selbst erwirtschaften. „Tausende über Parties reinkriegen“, nennen das die Berater. „Der Geldknappheit sind wir nicht entwachsen“, so Thiede weiter. Die Vereinsstrukturen zu reformieren, ein professionelles Management zu installieren, habe man versäumt. „Wir mussten Gelder einklagen, wir mussten Menschen betreuen, da war einfach die Kraft nicht übrig“, sagt Thiede, „das soll jetzt nicht fatalistisch klingen.“
Einfacher wird es wohl nicht werden. Mit dem Wegfall der Diskriminierung werde ja auch der Wegfall der Förderung postuliert, beobachtet Oevermann, und das, wo – anders als in Sachen Gleichberechtigung der Frau – rechtlich nur das Wenigste festgeklopft ist. Und Politiker-Bemühungen allenfalls halbherzig erscheinen. Siehe Lebenspartnerschaftsgesetz.
„Sie können doch auch heiraten“, sei ihm von Bremer Parlamentariern vorgehalten worden. „Das“, sagt Arno Oevermann und klingt irgendwas zwischen sarkastisch und amüsiert, „fand ich dann doch ganz wohlwollend“. sgi
Heute Abend wird gefeiert: Bei der Queer Factory II ab 23 Uhr im Modernes.
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