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Lena und ihre Schwestern

Nach dem Krieg bleiben Frieda und Charlotte Krieg dem Nationalsozialismus treu – zum Leid der dritten Schwester Lena

Voller Eifer tritt Frieda Krieg am 1. Januar 1933 in die NSDAP ein. „Tut mir leid für so eine Gesinnung, und ihr tut euch selbst auch Leid an damit“, schreibt ihr die Schwester Lena Krieg.

aus Eningen HENNING KOBER

Das Grab der Schwestern Krieg auf dem Eninger Friedhof ist schwer zu finden. Ein Gärtner weist die Richtung: „Die sind im alten Teil. Sind Sie Journalist?“ Unter einer Birke liegt das Familiengrab der Kriegs. Ein moosbewachsener kleiner Grabstein erinnert an den Vater Gottfried. Für Frieda und Charlotte gibt es keinen Stein. Eigentlich müsste die NPD dafür aufkommen. Das haben die beiden Schwestern in ihrem Testament so verfügt. Anlass zur Dankbarkeit hätte die Partei genug. Denn 1994 erbte sie neben der Krieg’schen Jugendstilvilla einen Bauplatz und 200.000 Mark in bar. Das bewahrte die finanzschwache NPD vor der Selbstauflösung.

In der Kleinstadt am Rand der Schwäbischen Alb kennt fast jeder Frieda und Charlotte Krieg. Doch erzählt wird nur widerwillig. „Mein Name lasset se aber fei weg“, heißt es allerorten. Auch der parteilose Bürgermeister, Jürgen Steinhilber, redet nur ungern über die NPD-Landesgeschäftsstelle in seinem Ort. Genau erinnert er sich noch an den Anruf im Februar 1994. Der Testamentsverwalter Günther Fahrbach überbrachte schlechte Nachrichten: Das Grundstück der Schwestern Krieg in der Schillerstraße 13 sollte eine NPD-Begegnungsstätte mit dem Namen „Geschwister-Krieg-Zentrum“ werden.

Es war nicht der erste Dorfskandal, den Frieda und Lotte Krieg verursachten. 1953 beschreibt ein Journalist unter dem Pseudonym Peter Hell im Eninger Heimatboten, wie die beiden ihre dritte Schwester, die Kommunistin Lena Krieg, um ihr Erbe prellten und aus dem Elternhaus trieben. Lena lebte fortan in einem Gartenhaus ohne Heizung, neben der Villa.

Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten ist Lena ein lebenslustiger Mensch. Fasziniert von den Ideen Karl Marx’, studiert die junge Frau am Frankfurter Institut für Sozialforschung Nationalökonomie. Sie beginnt eine Doktorarbeit zum Thema Utilitarismus, ihr Doktorvater ist Max Horkheimer.

Lena beschreibt Hitlers Machtübernahme als „Unglück“, während Frieda voller Eifer am 1. Januar 1933 in die NSDAP eintritt und die erste Eninger Frauenschaftsführerin wird. 1933 schreibt Lena an ihre Schwestern: „Tut mir leid für so eine Gesinnung, und ihr tut euch selbst auch Leid an damit“. Doch Frieda und Lotte sind längst begeisterte Verehrerinnen des „lieben Herrn Hitlers“. Diese Ergebenheit überdauert den Krieg. „Das mit den Juden hat er nicht gewusst“, nimmt Frieda ihren Führer einer Nachbarin gegenüber in Schutz. Auch wird von einer frühen Begegnung Friedas mit Hitler in München erzählt. „Der ist da noch in Sepplhosen im Bierkeller rumgesprungen, und Frieda war so beeindruckt, dass sie ihm einen Zehnmarkschein in die Hand gedrückt hat“, erinnert sich eine Nachbarin.

Nach der Machtergreifung durch die Nazis wird es eng für das Institut für Sozialforschung. Max Horkheimer emigriert 1933 in die USA. Auf Lena Krieg wird die Gestapo aufmerksam. Weil sie einem jüdischen Freund bei der Emigration nach London hilft, darf sie nicht weiterstudieren und muss ihre Doktorarbeit abbrechen. Ohne Geld und festen Beruf bleibt ihr nur der Weg zurück nach Eningen ins Elternhaus. Mit offenen Armen wird sie dort nicht empfangen, erinnert sich eine Freundin. „Wenn du einen Muckser machst, dann landest du im Gefängnis, ich brauch nur laut zu atmen“, soll Frieda zu Lena gesagt haben. Geschickt haben sie und Lotte zuvor die herzkranke Mutter dazu gebracht, ihnen den gesamten Besitz zu überschreiben. Lena geht leer aus. Gedemütigt und verängstigt zieht sie sich in die Dachkammer des Elternhauses zurück.

Das reicht Frieda nicht, sie will die Schwester loswerden. Als sich Lena nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges tagelang in ihrem Zimmer verkriecht, lässt Frieda sie mit Hilfe ihrer Parteifreundin, der Ärztin Dr. Berg, in eine psychiatrische Klinik in Tübingen einweisen. Der verantwortliche Professor beobachtet zwar Symptome, die möglicherweise auf Schizophrenie schließen lassen. Doch für eine Einweisung in eine geschlossene Anstalt sieht er keinen Anlass. Lena kann zurück nach Eningen.

Die Ursachen für Friedas Hass gegen ihre Schwester Lena liegen weit zurück. Die Ehe zwischen der vermögenden Schweizerin Karoline Magdalene Seyser und dem Schulmeister Gottfried Krieg steht unter keinem guten Stern. Zur Hochzeit kommt es nur, weil Frieda unterwegs ist. Mit 20.000 Goldmark aus der Mitgift der Frau baut das junge Ehepaar in einem Weinberg vor den Toren Eningens ein herrschaftliches Anwesen, einem Schweizer Chalet nachempfunden.

Von frühesten Kindestagen an denken die Eltern jedem der drei kleinen Mädchen eine bestimmte Rolle zu. Frieda genießt die klassische Ausbildung für höhere Töchter: Nach der Realschule zwei Jahre Internat am Genfer See und Aufenthalt in einem italienischen Adelshaus. Lena, Liebling des Vaters, darf Abitur machen und danach nach Chicago zu Bekannten reisen. Lotte soll sich nach der Volksschule um Haus und Eltern kümmern.

Doch es kommt anders. Die Inflation entwertet 1923 Geld und Aktien, und als der Vater 1924 überraschend stirbt, müssen die Töchter für den Familienunterhalt sorgen. Während Lotte bereitwillig das entlassene Hauspersonal ersetzt, Frieda ihre Träume von einer Künstlerkarriere begräbt und widerwillig Lehrerin wird, begeistert sich Lena für die Russische Revolution und beginnt zu studieren. Ungerecht findet die als verklemmt beschriebene Frieda das Verhalten ihrer Schwester Lena, die ohne konkrete Berufsabsichten nach Frankfurt an die Universität geht. Ihre Unzufriedenheit mit der eigenen Situation findet in der Schwester eine ideale Projektionsfläche, zumal die so unkompliziert mit Männern umgeht.

Friedas Hassgefühle ihrer Schwester Lena gegenüber sitzen so tief, dass sie während der Kriegsjahre weitere Versuche unternimmt, Lena für unzurechnungsfähig zu erklären. Nur durch eine Heirat mit HAP Grieshaber kann Lena sich der Gefahr entziehen. Der berühmte Holzschneider und Maler ist Kopf einer Gruppe Reutlinger und Tübinger Expressionisten, die unter dem Einfluss Max Beckmanns stehen. Lena kennt ihn aus Jugendtagen. Grieshaber, der im NS-Regime als „entarteter Künstler“ gilt und Mitglied der KP war, gestaltet mehrere liebevolle Malbriefe an seine „Osiris“, wie er Lena nennt. Er schreibt ihr: „Wir haben beide gelernt und sind lebendig geblieben unter all den Pappdeckelfiguren um uns herum“.

Doch die Liebe überdauert den Krieg nur kurze Zeit. Als sich Grieshaber 1951 scheiden lässt, bricht für Lena eine Welt zusammen. Wieder bleibt ihr nur der Weg zu den Schwestern. Die lassen ihr nur noch Platz im Gartenhaus.

Zu einer Versöhnung zwischen den drei Schwestern kommt es bis zu Lenas Tod 1981 nicht. Trotzdem bleiben sie auf merkwürdige Art aneinander gekettet. Auch Lena gelingt es nicht mehr, der Eninger Enge zu entkommen. Die Scheidung von Grieshaber macht sie zu einer verschrobenen, ständig zwischen kampfeslustigem Lebenswillen und depressiver Todessehnsucht schwankenden Frau. Mit Nachhilfeunterricht und dem Austragen von Zeitungen hält sie sich mehr schlecht als recht über Wasser. Ihre Schwestern Frieda und Lotte eifern für das „Vierte Reich“, bewirten den ersten NPD-Parteichef Adolf von Thadden und unterstützen den Rechtsextremisten Manfred Roeder mit großzügigen Spenden, als könnten sie so die verhasste Schwester Lena noch mehr demütigen. Frieda stirbt 1984, zuvor verfasst sie gemeinsam mit Lotte das Testament, das die NPD begünstigt.

In der halb verfallenen Scheune neben der Villa modern heute Unmengen von Büchern: Brecht, Marx, Lenin. Es sind Lenas geliebte Bücher. Frieda und Lotte haben sie nach ihrem Tod der NPD vermacht.

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