: Hier fliegen Träume hoch
■ Der Horror der Mütter ist der Traum der Söhne. Die Jungs wollen nämlich nicht nur am Fahrgeschäft stehen, sondern am liebsten auch selbst auf große Fahrt gehen
Tobias, Sascha, Oliver und André heißt der Trupp. Kumpels. Sammeln Fahrchips bei der Krake ein. Checken Sicherheitsbügel. Halten zusammen. „Eeei, Sascha, komm mal her, für die Zeitung.“ Soll ja schließlich keiner fehlen – wenn er's schon geschafft hat, hier einen Job zu ergattern. Einen Job mit richtig viel Prestige unter Gleichaltrigen. Die Freunde beneiden Tobias, Sascha, Oliver und André, und manche Mädels kommen hier mit richtig kessem Hüftschwung angewippt – bevor die Jungs die Bügel knallen lassen.
Tobias (15) macht das schon das zweite Jahr. Ebenso Oliver (16). Zwei Freunde aus Habenhausen. Jeden Osterferientag radeln die beiden so los, dass sie mittags um zwei, wenn Musik und Lichter angehen, auf dem grauen Kraken-Rund stehen. Jeden Osterferientag – und wahrscheinlich länger. Schließlich geht die Osterwiese erst nach den Ferien zuende. „Dann kommen wir gleich nach der Schule“, lachen alle Gesichter. „Naja, kurz Hausaufgaben machen“, wirft Oliver ein. „Sind doch nur zwei Stationen mit dem Zug“, sagt Sascha (14) aus Oslebs.
Sascha ist ein schmales Hemd – aber schon ziemlich cool. Im Herbst will er auf den Rummel nach Delmenhorst. „Ist ja nur eine Station mehr mit der Bahn“, lacht der Ein-Meter-Fünfzig Junge. Auch für die anderen steht fest: Wiederkommen wollen sie sicher. Gerne zur Krake. Schon weil der Chef in Ordnung ist. „Der hält sein Wort.“ Und er macht Witze. So Alltags-Arbeits-Witze eben, wie sie jeder macht, der Alltags-Arbeit hat. Für die Jungs ist das Neuland, das man nach Zeitungs-Austragen gern betritt. Und was Ferien angeht: Sonst fahren sie eher Campen. Ins Umland, aber nicht in die weite Welt, die ihnen jetzt per Osterwiese ganz nah kommt. Möglichst lange. Schließlich haben die Kumpels das Fahrgeschäft schon mit aufgebaut. „Deswegen durften wir doch hier bleiben“, sagen sie unisono.
Vier Tage hatte es gedauert, bis die Krake endlich ihre schillernden Arme hochwarf und die Saugnäpfe kreisen ließ. Davor hieß es Platten schleppen, Teile halten, hier stemmen und da auf Zuruf mit anfassen. „Ein Wahnsinnsgefühl, wenn dann die Lichter angehen und alles läuft“, sagen alle so stolz, als würde das Fahrgeschäft auch ein bisschen ihnen gehören. „Das war einfach geil.“ Fast besser als dann der Jungfernflug. Aber halt, die Wirklichkeit hindert am Abheben.
Die Tentakeln an der Krake senken sich, die Kundschaft drumrum bewegt sich. „Los schnell“, laufen Tobias, Sascha, Oliver und André jeder zu seinem Platz. Einsteigen, aussteigen, Chips kassieren. Für ein paar Jahre wäre sowas schon eine Perspektive, nicken sie später wieder im Chor. „Mitreisen.“ Und dass ihre Mütter das nicht wollen. Dass sie sich schon jetzt Sorgen machen, wenn die Söhne mal später nachhause kommen. Und dass sie fürchten, ihre Kinder könnten schlechten Umgang haben. „Gut findet meine Mutter das nicht, dass ich hier bin“, sagt einer. „Wegen der Ausländer, sagt sie. Aber ich finde, meine Mutter kennt die hier nicht. Die weiß nicht, dass die in Ordnung sind.“ burro
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen