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Sicherer Pullover

Kreml-Flieger Matthias Rust wegen Ladendiebstahls verurteilt. Jetzt heißt er Timothy  ■ Von Elke Spanner

Es ist nicht lange her, da hatte dieser Mann eine Weltmacht gekränkt. Er war 19 Jahre alt, als seinetwegen 1987 der russische Verteidigungsminister Sokolov in Pension geschickt und der Oberkommandierende der Luftabwehr-Streitkräfte Koldunow aus dem Amt gejagt worden war. Denn der Azubi mit der Kassenbrille war mit seiner Cessna vom schleswig-holsteinischen Wedel in Richtung Moskau gestartet und hatte gemächlich etliche Runden über dem Roten Platz gedreht, ehe er direkt vor dem Kreml landete.

Auch jetzt stellt Matthias Rust wieder eine Kränkung dar. Wenn auch nicht für eine Welt-, so doch immerhin für eine staatliche Macht: das Hamburger Amtsgericht. Dort sitzt er auf der hölzernen Anklagebank, weil er einen Pullover geklaut haben soll, Cashmere, 179 Mark. Er wurde auf frischer Tat ertappt, die Beweislage ist klar. Doch Rust versucht sich mit einer Geschichte aus der Anklage zu winden, und Richter Ulrich Haage fühlt sich gelinde gesagt gehörig verarscht.

Beim Anprobieren mehrerer Pullover habe sich ein Sicherheitsetikett gelöst, sagt Rust, sei an ihm haften geblieben und habe so die Alarmanlage aufheulen lassen. „Jämmerlich und dumm“ sei diese Version, schimpft Richter Ulrich Haage, bestraft den Kreml-Flieger mit Häme – „Sie haben doch internationale Gerichtserfahrung“ – und mit einer Geldstrafe in Höhe von 10.000 Mark.

Damals wie heute sieht man Rust den großen Abenteurer nicht auf Anhieb an. Kein wildwuchernder Bart, in dem man sich die Eiszapfen der Antarktis vorstellen könnte, kein wettergegerbtes Gesicht, sondern Lodenmantel und karierter Flanellschal um den Hals. Rusts Brille ist noch die von früher, dezent in der Form, aber für das schmale Gesicht überdimensional groß. Damals wunderte sich die Welt, wie ausgerechnet er eine Weltmacht erschüttern konnte. Heute erschrickt man im ersten Moment über die laute und selbstbewusste Stimme, mit der er zu sprechen vermag.

Doch dass Matthias Rust sich von jeher als etwas ganz Großes sah, wird ihm schon seit seiner Jugend nachgesagt. Aus seiner Heimatstadt Wedel wird kolportiert, dass er schon als Azubi stets in der ersten S-Bahn-Klasse bei seiner Lehrstelle anzureisen pflegte. Jetzt aber will er nicht mehr Matthias sein, der Jugendliche, der damals mit dem Sportflugzeug nach Moskau flog. Das wollte er noch, als er 1989 als Zivildienstleistender eine Krankenschwester sexuell bedrängte und sie mit dem Hinweis „Ich bin der Kreml-Flieger“ für sich zu gewinnen trachtete – ehe er sie niederstach und dafür im Knast landete.

Jetzt scheint er mit seiner Geschichte aufräumen zu wollen. Als er die Strafanzeige wegen Ladendiebstahls zu lesen bekam, verteidigte Rust sich nicht. Stattdessen teilte er dem Gericht mit, er möge fortan bitte nicht mit Matthias, sondern seinem Zweitnamen „Timothy“ angesprochen werden.

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