piwik no script img

Später Antifaschist

SS-Mann Friedrich Engel, in Italien verurteilt, lebte in Deutschland ein ruhiges Rentnerleben

von MICHAEL BRAUN

Etwas irritiert schaut der alte Herr mit dem faltigen Gesicht und dem schlohweißen Haar in die Kamera, ehe er mit seiner Schubkarre abdreht. Ständig gehen diese Bilder durch die italienischen TV-Nachrichten, denn der rüstige Hobbygärtner hat Vergangenheit – eine Vergangenheit, die ihn jetzt, mit 92 Jahren, einholt. Der SS-Obersturmbannführer Friedrich Engel war ab 1943 als Polizeikommandant in Genua tätig. Darf man ihm selbst glauben, dann muss er sich dieses Jobs nicht schämen. Todernst zitiert er in einem Interview den damaligen deutschen Generalkonsul in Genua. Der habe ihm gesagt, eigentlich müssten die Genuesen ihm ein Denkmal errichten; schließlich habe er die von Hitler befohlene Zerstörung des Hafens verhindert.

Der verkappte Antifaschist von der SS hatte seine Nazikarriere allerdings schon in frühester Jugend begonnen. Nach dem Studium stieß er zum Sicherheitsdienst (SD). Zunächst im besetzten Norwegen tätig, wurde er Ende 1943 Polizeichef in Genua und befehligte bis zum Kriegsende die in Ligurien aktiven Gestapo- und SS-Einheiten. 1947 gelang ihm die Flucht aus einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager bei Oberursel. Engel ließ sich in seiner neuen Wahlheimat Hamburg-Lokstedt nieder und verdiente im Importgeschäft mit Edelhölzern sein Geld, bis er sich 1970 zur Ruhe setzte. 1969 wurde ein Ermittlungsverfahren gegen ihn in Deutschland eingestellt, aus unbekannten Gründen: Die Akten sind verschwunden.

Die italienische Justiz verurteilte Engel 1999 wegen 246fachen Mordes zu lebenslanger Haft. Dem Urteil zufolge war Engel für vier Massenhinrichtungen von Partisanen und politischen Gefangenen in Ligurien verantwortlich. Engel dagegen behauptet, nur für die Erschießung von 59 Personen am 19. Mai 1944 eine „Teilverantwortung“ zu tragen. Mit dieser Massenexekution habe die deutsche Besatzungsmacht auf den „feigen Anschlag italienischer Terroristen“ reagiert. Für eine andere „Säuberungsaktion“ vom April 1944, die 147 Menschen das Leben kostete, will er nicht zuständig gewesen sein – obwohl er extra für diese Aktion einen Orden erhielt. Nichts auch will er von der Verschleppung von 7.000 Juden aus Genua mitbekommen haben.

Ins Gefängnis muss Engel für seine Taten nicht; als deutscher Staatsbürger hat er keine Auslieferung zu fürchten. Doch mit dem ungestörten Pensionärsdasein ist es erst mal vorbei: Hamburgs Staatsanwaltschaft hat nun das Verfahren gegen Engel wieder aufgenommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen