: Last und Recht der Faulheit
Künstler sind häufig von Arbeitslosigkeit betroffen – zwei Momentaufnahmen aus Berlin
BERLIN taz ■ Ricardo Peredo Wende hat gerade mit den Beratern im Arbeitslosenzentrum Berlin-Prenzlauer Berg gesprochen. Nachmittags wird er sich wieder für einen Job vorstellen, bei einem Straßenmagazin. Er holt ein Video aus seinem Rucksack: „Da ist mein Leben drauf.“ Den 15-minütigen Film will er beim Vorstellungsgespräch zeigen.
Ricardo ist Künstler, hat bei Nam June Paik studiert, war ein Jahr Lehrbeauftragter an der Universität La Paz, seiner bolivianischen Geburtsstadt. Jetzt lebt er in Berlin und ist seit drei Jahren ohne Job. „Außer über das Sozialamt habe ich nie einen Job gefunden. Am Ende habe ich dann Kulissen fürs Fernsehen gemalt.“ Ricardo reibt sich angespannt die Augen. „Alle meine Studienkollegen sind mittlerweile Dozenten.“ Er habe sich schon daran gewöhnt, Ablehnungen zu bekommen. An seinen Status als Arbeitsloser allerdings kann er sich nicht gewöhnen: „Wenn du arbeitslos bist, bist du sozial isoliert.“ Als er geht, verteilt Ricardo handgemalte Einladungen unter den MitarbeiterInnen des Arbeitslosenzentrums: Nächste Woche wird eine Ausstellung von ihm eröffnet.
Lieber mehr Zeit
„Ich finde, dass es ein Recht auf Faulheit gibt.“ Kerstin Gürke sitzt in der Kiezkantine Prenzlauer Berg und isst Kohlroulade. Vor ein paar Jahren bekam sie hier noch den Ermäßigungspreis für das Essen, da war sie arbeitslos. „Eigentlich selbstständig, aber das lief aufs Gleiche hinaus.“ Jetzt zahlt sie den Solidaritätspreis, denn sie arbeitet mittlerweile Vollzeit als Grafikerin. In ihrem Bekanntenkreis gibt es aber genug Erwerbslose. „Die teilen mit mir aber größtenteils die Auffassung: Lieber mehr Zeit und weniger Geld.“ Die 34-Jährige würde ohne weiteres einen Halbtagsjob annehmen, „denn ich möchte mehr Zeit für künstlerische Sachen haben“. In Berlin, glaubt sie, gebe es besonders viele Leute, die von ihrem Recht auf Faulheit Gebrauch machen wollen. „Allerdings muss man auch reif sein für diese Faulheit, damit man sich nicht irgendwann gehen lässt.“ ANNA HOLZSCHEITER
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