: Ein Country Girl in Harlem
Songs über lange Kinonachmittage und den Blues beim Shoppen: Olu Dara singt über Zeitgemäßes. In den Stücken des Musikers vom Mississippi spiegelt sich auch die Migrationsbewegung des Blues
von JÖRG FEYER
Als 1998 das Solodebüt von Olu Dara erschien, war die Verblüffung groß in der Jazz-Welt: Huch, das klingt ja wie das richtige Leben! Da schreibt und singt einer tatsächlich ansteckende Songs übers Essen, übers Wetter, über schöne Frauen und über den Blues beim Shoppen!
Olu Dara, der 60-jährige Musiker vom Mississippi, ist noch heute „überrascht, dass es sie überrascht hat“. Immerhin zerbreche er sich „nicht großartig den Kopf“ über seine Texte. „Ich singe, was gerade kommt, und das sind eben alltägliche Dinge. Ich wusste gar nicht, dass das so ungewöhnlich sein soll.“
Der späte Coup ist das Ergebnis einer seltsam verschlungenen Karriere, die lange keine Karriere (im engeren Sinne) und zeitweilig sogar ganz erloschen war. Mitte der 1960er etwa, nach einem „angenehmen Job“ als weit gereister Navy-Musiker, hatte Olu Dara die Trompete in seiner Wahlheimat New York einfach in den Schrank gepackt und sich als Verwaltungsangestellter und Sozialarbeiter versucht. Auch machte er mal in Immobilien und Diskotheken. Hat er die Musik damals nicht vermisst? „Nein. Schau, Musik stand nie über den anderen Dingen wie Familie und Freunde. Sie ist einfach ein Teil meines Lebens, nicht schlechter oder besser.“
Gedrängt von Freunden wuchs in ihm aber doch die Erkenntnis, dass da „eben ein Talent“ sei, das es zu nutzen gilt. Die 70er waren gekommen. Der begeisterte Club-Gänger, der daheim höchstens eine Hand voll Tonträger hat, spielte sein Bop-Horn für Art Blakey’s Jazz Messengers und Avantgarde in der New Yorker Loft-Szene – und „ganz andere Sachen für mich allein“. Eigene Platten? Das, sagt er, sei nie „meine Ambition“ gewesen. Zudem wollten ihn Plattenfirmen, wenn, dann nur als Don-Cherry-Kopie, aber gewiss nicht Gitarre spielen, geschweige denn singen lassen. „Ich dachte: Soll ich das tun, was alle tun, nur weil sie’s von mir erwarten? Aber ich wollte mich so nicht ausdrücken.“Als er’s doch mal versuchte, landeten die Bänder prompt nur im Archiv.
War aber nicht so schlimm, zumal Olu Dara am afroamerikanischen (Tanz-)Theater schon bald ein „ganzheitliches“ Forum für seine Qualitäten entdecken sollte. An der Bühne entdeckte er vor allem jenes Talent, das ihm noch heute im Aufnahmestudio zugute kommt, wenn er die Improvisationsästhetik des Jazz kurzerhand schon aufs Songschreiben (vor)verlegt. „Ich arbeitete damals mit der Choreografin Dianne McIntyre“, erinnert sich Olu Dara. „Normalerweise gehen die Musiker zwei Wochen nach Hause und dann kommen sie mit fertigen Stücken wieder. Doch Dianne ließ mich bei den Tanzproben sitzen. Und dann fragte sie zwischendurch: Olu, siehst du hierzu irgendwas? Ich dachte, sie will gleich einen Song, ging ans Klavier und haute spontan was raus. Ich hatte sie falsch verstanden. Aber da wurde mir klar, dass ich Songs gleich auf dem Set schreiben kann. Als sich das rumgesprochen hatte, konnte ich mich vor Theaterarbeit kaum retten.“
Die brachte ihm 1999 sogar einen „Lifetime Achievement Award“ ein. „Komisch, seitdem rufen keine Theaterleute mehr an“, lacht Olu Dara, der er selbst „hasst, irgendwo nach etwas zu fragen“. Vielleicht, so seine Vermutung, „denken sie, ich hab keine Zeit mehr fürs Theater, weil ich eine Platte raushabe“. Die verdankt er wesentlich einem Mann, der ihm oft im Theater zusah, fasziniert von diesem Musiker, der seine Trompete wie Satchmo blies, seine Gitarre in Blues-Trance trieb und dazu noch Songs aus dem Stegreif schrieb. „Ich habe den richtigen Mann zur richtigen Zeit getroffen“, sagt Olu Dara über seinen Produzenten Yves Beauvais, der aus dem Stand „so viel über mich wusste, dass ich wusste: Mit dem kannst du arbeiten, der versteht dich.“
Nicht selten hilft Beauvais ihm heute bei der Studioarbeit mit der Erinnerung an alte (Theater)-Songs auf die Sprünge, die Dara selbst schon längst wieder (fast) vergessen hatte – so wie das für ihn rare Traditional „Out On The Rolling Sea“ auf dem aktuellen Album „Neighborhoods“. In „Herbman“, der Hommage an Rob, den Gemüsemann von nebenan, lebt auch seine Großmutter weiter, die einst zu Hause den Blues sang und Klein Olu mit hausgemachten Naturheilverfahren den Gang zum Arzt ersparte. „Ich hatte die Musik, das Motiv. Aber der Text gefiel mir nicht. Also sagte Yves: ‚Du magst doch Gemüse und Kräuter so sehr, warum singst du nicht darüber?‘ “ Auch lange Kinonachmittage mit dem Bruder sind ihm in „Bell & Ponce“ eine launige Reminiszenz wert. Und das „Harlem Country Girl“ (vom ersten Album) ist seine eigene Frau, als sie noch nicht seine Frau war.
Ein Country Girl in Harlem, das ist eine schöne Metapher für viele seiner Songs, die immer wieder die Wanderung des Blues von Süden nach Norden nachzeichnen. Zieht ihn selbst irgendwas zurück nach Natchez, Mississippi? „Nein, es ist tot dort. Heute spielt sich alles außerhalb der Stadt ab: Kino, Shopping Malls. Live-Musik gibt’s nur noch auf dem Riverboat, im Spielcasino. Da verspielen die Leute ihr Geld, während das Leben auf den Straßen verödet.“
Klar findet Olu Dara das „traurig“. Doch für die alte Mississippi-Kultur, die auf seinen Platten in neuem Kontext aufscheint, mag Olu Dara dennoch nicht schwarz sehen. „Nein, sie wird nicht verloren gehen. Weil die Wurzeln so tief reichen, wird es immer wieder Musiker von dort geben. Auch die Isolation ist geblieben, zumindest dahin gehend, dass nicht Leute von außen kommen und diese Kultur verändern wollen. Mississippi ist nicht Paris, wo Amerikaner hingehen, um es zu amerikanisieren (lacht).“ Und wo würde er selbst gern demnächst hingehen? „Ich würde gern mal für einen jüngeren Künstler schreiben, der ganz am Anfang steht und Material und Hilfe braucht. Ich würde danach sogar suchen – nur um zu sehen, was dann passiert.“ Bestimmt etwas Überraschendes.
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