: Preis des Friedens
Befürworter und Gegner der Nato-Intervention in Jugoslawien ähneln sich: Debatten sind unerwünscht
von BETTINA GAUS
In Makedonien ist wieder Ruhe eingekehrt. Aber die heftigen Zusammenstöße im März haben erneut gezeigt, dass die Region trotz der Intervention internationaler Truppen ein Pulverfass geblieben ist. Die naive Hoffnung, eine komplizierte politische Situation lasse sich handstreichartig militärisch bereinigen, hat sich zerschlagen. Eine neue Grundsatzdiskussion über internationale Militäreinsätze ist dennoch nicht ausgelöst worden. Weder Befürworter noch Gegner der Nato-Angriffe auf Jugoslawien zeigen daran Interesse. Sollte das daran liegen, dass sich inzwischen beide in der Defensive fühlen?
Kriegsgegner tun sich schwer mit der Tatsache, dass es der Nato tatsächlich gelungen ist, dem Treiben von Slobodan Milošević ein Ende zu bereiten. Die Nato selbst hat hingegen im Zuge der Intervention interne Defizite der Allianz schmerzlich erkennen müssen. Außer Rudolf Scharping gibt es so gut wie niemanden mehr, der bestreitet, dass die westlichen Regierungen vom eigenen Erfolg überrascht worden sind. Wobei „Erfolg“ ein sehr relativer Begriff ist: Die serbische Armee hat den Krieg weitgehend unbeschadet überstanden.
Eine uneingestandene Unsicherheit scheint mittlerweile viele Gegner und Befürworter der Nato-Luftschläge zu einen. Das wird auch daran deutlich, dass beide Seiten häufig auf realitätsfernen Argumenten beharren. Manche Kriegsgegner versuchen, alle Ereignisse im Kosovo zu Folgen eines „normalen“ Bürgerkriegs zu erklären und die systematisch verübten Menschenrechtsverletzungen des Staats zu leugnen.
Doch solche Behauptungen sind nicht nur unredlich, sie sind auch unlogisch: Denn sie führen zu dem Schluss, dass die Nato-Angriffe gerechtfertigt, politisch klug und völkerrechtlich unbedenklich gewesen wären, wenn es die Vertreibungen und die Massaker in der behaupteten Zahl gegeben hätte. Ist es wirklich das, was die Kritiker der Luftschläge mit ihren Zweifeln ausdrücken wollen?
Interventionsbefürworter beharren hingegen auf einer bis heute unbewiesen hohen Zahl von Opfern ethnischer Verfolgung, erklären alle gegenteiligen Hinweise zu „serbischer Propaganda“ und bemühen unangemessene Vergleiche – Auschwitz – oder Fehlinformationen wie die Existenz von Konzentrationslagern im Kosovo, um das eigene Handeln zu rechtfertigen. Verfechter eines Krieges, die für die moralische Legitimation ihrer Taten ein bestimmtes Schreckensniveau benötigen, bewegen sich jedoch auf dünnem Eis.
Ein Grundsatz des Humanismus besteht darin, dass kein Opfer weniger – oder mehr – wert ist als ein anderes. Wer zu Recht darauf verweist, dass schon ein einziger ermordeter Zivilist im Kosovo einer zu viel ist, der muss das auch für die verharmlosend als „Kollateralschäden“ bezeichneten zivilen Opfer der Nato-Angriffe gelten lassen. Dass es diese Opfer gegeben hat, war keine unvorhersehbare Verkettung unglücklicher Umstände. Es war zu erwarten. In jedem Krieg sterben Zivilisten.
Wenn die Vertreibungen der Kosovo-Albaner als Menschenrechtsverletzung gebrandmarkt werden, dann darf bei den Vertreibungen der serbischen Bevölkerung des Kosovo und anderer Minderheiten kein anderes Maß angelegt werden. Diese jedoch haben sogar unter den Augen der internationalen Militärs stattgefunden, und das nährt Zweifel an den ausschließlich humanitären Motiven der Nato-Regierungen.
Nun wird ohnehin nicht mehr bestritten, dass Europas Mächten auch daran gelegen war, nicht erneut eine große Zahl von Flüchtlingen aufnehmen zu müssen. Darüber hinaus dürfte die Nato mit ihrer Intervention langfristig noch ganz andere Interessen verfolgt haben: Es ging um das kaspische Öl. Für eine geplante Erdöltrasse ist die Befriedung jener Region erforderlich.
Allerdings spräche ja nichts dagegen, wenn politisches oder militärisches Handeln einer Region nicht nur den Frieden brächte, sondern weitere erfreuliche Begleiterscheinungen nach sich zöge. Lässt sich das aber von den Nato-Angriffen auf Jugoslawien sagen? Worin bestand der politische Preis, der für den Kosovokrieg entrichtet werden musste? Und lässt sich Frieden überhaupt militärisch erzwingen?
„Fighting for peace is like fucking for virginity“, lautete ein böser, bis heute unwiderlegter Spruch der Friedensbewegung. Die Überzeugung, Frieden lasse sich erzwingen, beruht auf dessen Verwechslung mit einem Waffenstillstand. Frieden bedeutet, dass ein Krieg auch nach dem Abzug fremder Truppen nicht erneut ausbricht. Solche Hoffnungen haben sich weder in Somalia noch in Kambodscha erfüllt. Mit Blick auf den Balkan mag niemand derartige Hoffnungen auch nur hegen.
Na und? Ist es nicht immer noch besser, wenn eine gequälte Bevölkerung infolge der Anwesenheit internationaler Truppen wenigstens die Atempause eines Waffenstillstands genießen darf? Ja – wenn es denn möglich wäre, irgendwo einen Waffenstillstand zu erreichen, ohne dass dies weitreichende Auswirkungen auf den Rest der Welt hätte.
Die westliche Allianz hat Jugoslawien angegriffen, ohne dazu vom UN-Weltsicherheitsrat ermächtigt gewesen zu sein. Das war ein Bruch des Völkerrechts. Das immer wieder bemühte Recht auf „Nothilfe“ dehnt die Regeln der internationalen Staatengemeinschaft so weit, dass es einem Verzicht auf diese Regeln gleichkommt. Ein Rechtssystem zeichnet sich aber nicht in erster Linie durch die Praktikabilität seiner Normen aus, sondern durch seine Verlässlichkeit.
Die UNO wird seit Jahren als unfähig bezeichnet, wobei die Führungsmächte zu erwähnen vergessen, dass sie selbst für die schlechte Ausrüstung und die unzureichenden Mandate der Blauhelme verantwortlich waren. Die Nato behauptet nicht, überall für Ordnung sorgen zu wollen. Die Diskreditierung der UNO aber hat gerade für jene Länder schwerwiegende Folgen, aus denen CNN nicht täglich berichtet.
Die Zahl der Opfer des Kriegs im Kongo ist viel höher als die der Toten im Kosovo. Aber warum sollte irgendeine Bürgerkriegsfraktion die UNO noch als neutrale Kraft von Gewicht akzeptieren, wenn die Führungsmächte der Welt keinen Zweifel daran lassen, dass sie selbst es auch nicht mehr tun? Die Schwachen haben in Regionen, in denen die Nato Menschenrechte nicht mit Waffengewalt durchsetzen zu können meint, keine Hoffnung mehr.
Aber durfte man denn den schrecklichen Ereignissen im Kosovo tatenlos zusehen, nur weil man nicht alle Probleme dieser Welt gleichzeitig lösen kann?, fragen Befürworter der Nato-Luftschläge oft. Eine seltsame Frage. Sie legt den Gedanken nahe, zwischen dem Einsatz militärischer Mittel und dem Nichtstun klaffe ein Vakuum. Dieses Verständnis von Politik war schon einmal für überwunden gehalten worden.
BETTINA GAUS, 44, ist politische Korrespondentin der taz in Berlin. Sie diskutiert beim taz-Forum: Frieden schaffen nur mit Waffen? mit Heinz Loquai, Brigadegeneral a. D., Erich Rathfelder,taz-Balkankorrespondent, Thomas Schmid,freier Journalist und Balkankenner. Moderation:Jürgen Gottschlich, taz-Türkeikorrespondent Samstag, 28. April, 12–14 Uhr
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