piwik no script img

Intensives Familienepos

■ Needcompany gastiert mit „Morning Song“ am Schauspielhaus

Morning Song ist die Fortsetzung der inszenierten Lesung No Beauty There, Where Human Life is Rare, eine Auseinandersetzung der Needcompany mit dem Werk Albert Camus' und dem Themenkomplex „Ästhetik & Kommunkation“. Was während der documenta X als spröde Inszenierung angelegt war, entwickelte sich beim jetzigen Gastspiel im Schauspielhaus zu einem intensiven Familienepos.

An einem Sylvesterabend treffen sich Verwandte und Bekannte, um sich ihre Lebens- und Beziehungsgeschichten zu erzählen. Im Mittelpunkt steht die gastgebende Mutter und Ehefrau, Viviane De Muynck. Über die gesamte Länge des Stücks bereitet sie ein Mahl für ihre Gäste. Kontaktmikrophone in der Küche machen die Geräusche vom Schneiden und Anbraten der Zwiebeln neben der Musik von Can, Fred Frith, Mogwai und Calexico zu einem Teil des Soundtracks. Leonard ist ein schwuler Koch, der gerne seinen Lover in Uniformen steckt. Der Mann der Gastgeberin ist ein enorm beweglicher und stiller Mensch. Auf das väterliche Grundstück hat er ein sehr breites, aber nur sechs Meter tiefes Schloss bauen lassen. Später stirbt er, eingekreist von Braunbären. Dann ist da noch ein professioneller Revolutionär, sich versteckt, weil er wegen Waffenschmuggel gesucht wird.

Morning Song ist der vorläufige Höhepunkt im Werksverlauf der Needcompany. Neben den starken Darstellern befindet sich auch die Bühnentechnik auf höchstem Niveau. Die Mikrophone in der Küche dienen gleichzeitig als Tonabnehmer für die steppende Tänzerin. Sprechmikrophone stehen auf der Bühne, doch die Needcompany verwendet sie kaum. Eher fungieren sie als Zitat und Designelement. Der Sound ist gefühlvoll und laut abgemischt. Langsam scheint Lauwers ein Spezialist für Ton zu werden, wie Wilson einer des Lichts ist.

Immer dann, wenn in Morning Song Melancholie die Überhand gewinnt, kommt jemand und sucht nach einer Katze. Ist eine Story zu lang oder zu schüchtern, führt sie ein anderer zu Ende. Das Stück ist wie ein elegantes Gesellschaftsspiel, das gleichermaßen von Bohemiens wie von Revolutionären gerne gespielt wird. So sieht es aus, wenn Elfen und Feen Fußball spielen. Das Publikum dankte mit langem Applaus. Nikola Duric

nur noch Sonnabend, 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen