: Nochmal gucken in Amsterdam
■ Was haben Bremens Stadtwerder und Amsterdams Westerpark gemeinsam? Einiges. Und was davon ist übertragbar auf Bremens grüne Insel? Das wollten sich Bremens Baupolitiker jetzt mal genauer ansehen. Ein Kurztripp zu roten Klotzbauten und Autofreiheit. Fotos: Kathrin Doepner Text: Dorothee Krumpipe
Vom Stadtwerder aus sind es nur knapp vier Stunden Richtung Westen. Dann landen die Damen und Herren Baupolitiker aus Bremen wieder auf einem alten Wasserwerksgelände. Diesmal: Amsterdam, Westerpark.
Früher lag das mal am Stadtrand von Hollands Hauptstadt (genauso wie der Stadtwerder in Bremen). Inzwischen ist das allerdings beste Innenstadtlage. Heiß begehrt. Und mit schmucken Resten von früher: Ein Wasserturm nebst Pumpenhäusern in Amsterdam, wo in Bremen die umgedrehte Kommode steht. Jeweils nur ein Katzensprung und schon ist man in der City. Dazwischen liegen ein Kanal und ein paar Grachten oder eben die Weser.
„Die Gemeinsamkeiten stechen doch ins Auge“, findet Michael Glotz-Richter vom Umweltressort. Er hat den Bus nach Amsterdam gelotst. Wo man vor Jahren vorgemacht hat, wie man alte Wasserwerksgelände heute nutzen kann. Während man in Bremen über Stadtwerders Zukunft brütet.
Bauklötze staunen über Nederlandse Architectur
Vor allem hatten beide Städte den gleichen Hintergedanken mit ihren alten Wasserwerksgeländen: Die Abwanderung stoppen. Junge Familien, die lieber raus aufs Land und Einfamilienhäuser bauen wollten, in der Stadt halten. Die sollten auch in der City was grünes, ruhiges zum Wohnen finden, anstatt in die Vororte zu verschwinden. In Dörfer im Speckgürtel – dahin halt, wo es ruhig ist und grün, aber der Hund begraben liegt.
Darum also ein Tag in Amsterdam auf Kosten eines EU-Projekts. Ein paar Stunden, in denen man Löcher in die Bauburgen am Westerpark starrt. Mit Bremen vergleicht. Staunt. Und kritisiert.
Denn Liebe auf den ersten Blick war es sicher nicht, was die Bremer auf dem Terrain des Gemeentelijke WaterLeidingsbedrijf (GWL) vorfanden: Roter Backstein acht Stockwerke hoch getürmt. Außen umschlossen von drei lange Riegelbauten, mit nur kleinen Fenstern auf der Windseite. Das ist zwar energiesparend, wirkt aber wie eine kalte Mauer: leblos. Zur windfreien Seiten stapeln sich dann ganze Balkonfronten. Und im Innern des Terrains stehen 17 Gebäudeklötze dicht an dicht. Alles rot. Alles hoch. Unten liegen grüne Gärten – fast wie auf dem Präsentierteller – umringt von 600 Wohnungen.
„Ooh-Jeeh!“ Es dauert keine fünf Minuten, da wendet sich Henning Harms, CDU-Mann im Beirat Neustand, an seinen Ortsamtsleiter. Ein Handschlag auf die Schulter: „Hiermit erteilen wir den Auftrag, dass wir sowas in der Neustadt nicht wollen.“ Auch Umweltsenatorin Tine Wischer (SPD) vom achten Stock auf die Anlage blickend, hält das nicht für ihr Ding. Sowas könne man sich vielleicht eher für Osterholz vorstellen als für den Stadtwerder, meint auch Carsten Sieling, Baupolitiker der SPD.
Acht wuchtige Geschosse rund um die „umgedrehte Kommode“ – das hält auch die Eigentümerin des Geländes, die swb AG, für ziemlich ausgeschlossen. Den meisten geht es ähnlich. Und am Ende des Rundgangs durch den Westerpark blicken sie eher neidisch auf die Straßen gegenüber, wo noch alte Häusern stehen. „Was sind die doch schön. Immer noch.“
Aber es hätte schlimmer kommen können: Mit Autos. Und mit der entsprechenden Zahl an Parkplätzen. 900 wären das, wenn man jeder Wohnung, wie in Neubauvierteln üblich, 1,5 Autos zugedacht hätte. Statt Grün im Innenhof hätte man also nur Blech, sehr viel Blech zu sehen bekommen. Unvorstellbar. Jetzt sieht man sechs Hektar weit kein Auto. Keine Garage, keine carports, keine Stellplätze. Es gibt nicht mal Straßen. Keinerlei graue Flächen aus purem Asphalt. Nur gepflasterte Trampelpfade, die allein für Fußgänger und Radfahrer sternförmig durch die Anlage geführt wurden.
Die ganze Sache mit der Autofreiheit
Man hört weit und breit keinen Anlasser, kein Türenzuknallen. Zwar rattert von der Straße her iein Presslufthammer. Aber sonst ist es bemerkenswert ruhig. Und grün – soweit es die roten Steinfronten eben zulassen. Und so hoch die kleinen Hecken eben reichen.
Anderswo hätte man wahrscheinlich Tiefgaragen gebuddelt. In Amsterdam reicht das Grundwasser aber bis knapp unter die Grasnarbe. Also lieber kein Untergrundparken. Schließlich fahren um die Ecke mehrere Straßenbahnen und Busse. Zur Central Station sind es nur zwei Kilometer. Car-Sharing Firmen sind ganz in der Nähe. Die einzigen Parkplätze am Gelände – 80 Stück – wurden unter den Bewohnern ausgelost.
Aber Bremen ist nicht Amsterdam. Jenseits des Ijs sind die Wohnungen knapp. 6.000 Menschen hatten sich für die neuen Wohnungen im Westerpark gemeldet, als die 1993 beworben wurden. Das sagt zwar mehr über die Wohn-ungsnot in Amsterdam als über die Masse an autofreien Idealisten. Trotzdem: 4.000 hatten immer noch Interesse als ihnen klar wurde, dass sie wenn überhaupt ohne ihr Auto dort einziehen mussten. Nicht mal ein Möbelwagen hätte das Grundstück befahren dürfen. Allein für Krankenwagen und Feuerwehr gibt es Zufahrten.
Auch am Stadtwerder fürchten die Anwohner schon um ihre Ruhe, sollten in ihrer Nachbarschaft zukünftige Anwohner in zukünftige Häuser ziehen. Die Folge: Autos die die engen Zufahrtstraßen verstopfen, Lärm machen und Grünflächen fressen. Westerpark lehrt: Je teurer die Wohnungen, desto mehr Autos werden mit dorthin ziehen. Im Westerpark kann man 50 Prozent der Anlage zum sozialen Wohungsbau rechnen. 25 Prozent sind subventionierte Eigentumswohnungen. Der Rest sind teure Penthäuser in den oberen Stockwerken. „Die Mischung machts“, erklärt einer der GWL-Planer Markus Neppl vom Büro Kees Christiaanse. Ohne sozialen Mix keine Autofreiheit.
Auch in Bremen hatte man ja mal versucht. die Autos aus den Wohngegenden zu verbannen: Im Hollergrund. Aber das ging gründlich schief: Zu weit draußen lagen die Häuser, zu weit weg von jeglicher Infrastruktur. Und vor allem: Autofreiheit wurde verkrampft zum Glaubensbekenntnis erklärt, gibt Tourleiter Michael Glotz-Richter unumwunden zu. Das war ein Diktat. In Amsterdam hieß es dagegen bloß: „Dat regelt zich“. Im ganzen Viertel rundherum sind Parkplätze schließlich genauso knapp. Natürlich hätte man Stunde um Stunde die Blocks umrunden können, im abgelegen Gewerbegebiet parken können, um dann die paar Kilometer zurückzulaufen. Aber: Wer will das schon?
In Amsterdam wollte es vor allem die Stadtregierung. Ihr gehört das alte Grundstück des Wasserwerks. Und damit legten sie genau fest, was auf dem Gebiet passieren sollte. Ökologisch sollte es sein (obwohl die Planer mit der Zeit deutliche Abstriche machen muss-ten) und autofrei musste auch irgendwie sein. „Die Stadt hat gesehen, dass sie ihre Zuständigkeit nicht abgeben darf, dass sie solche Projekte gestalten muss“, meint Architekt Markus Neppl. „Das kann man aus deutscher Sicht hier lernen.“
Im Westerpark hat sich das tatsächlich von selbst geregelt mit der Autofreiheit. Seit 1996 sind die Wohnungen bezogen. Es gibt weiterhin Wartelisten für die Appartements, erklärt die Quartiers-Managerin. Die Fluktuation ist gering, die Preissteigerungsrate der Appartements hoch. „Die haben mal 300.000 Gulden gekostet. Heute sind es viel mehr: bis zu 500.000 Gulden.“
Und was hat Bremen jetzt davon?
Zurück zum Stadtwerder. Drei- bis viergeschossig sollen die Häuser da mal werden. Höchstwahrscheinlich hochpreisig. „Ob sich der Stadtwerder als autofreies oder -armes Gebiet eignet, müsste man aber nochmal untersuchen“, grübelt selbst die grüne Baupolitikerin Karin Krusche. Wenn die Würfel da nicht ohnehin längst gefallen sind. Vielleicht sind die Straßenbahnen zu weit entfernt – „da kommt es auf jeden Kilometer an, wenn man Einkaufstaschen schleppt.“ Und Leute mit viel Geld würden das ohnehin kaum machen. „Dabei wäre es gut, wenn so ein Projekt auch in Bremen funktionieren würde.“
Vera Litzka vom Bremer Energie-Konsens lobt vor allem die Gestaltung der Freiflächen. Auch das ließe sich auf den Stadtwerder übertragen: Eine Mischung aus privaten und öffentlichen Flächen. Diese Freiflächen sieht auch Organisator Glotz-Richter auf der „Habenseite“ des Westerparks. „Wenn man erstmal Platz für Spielflächen geschaffen hat, würden die Wenigstens sie für Autos wieder aufgeben wollen.“ Damit müsse man erstmal anfangen.
Und dann gibt es im Westerpark noch das alte Pumpenhaus. Da war sich die ganze Mannschaft aus Bremen einig: Das ist klasse. Gut hundert Jahre ist es alt und das Schmuckstück auf dem Gelände. Die alten Pumpen sind inzwischen Kaffeemaschinen gewichen. Das Café Amsterdam ist eines der musts in jedem Tour-Guide und selbst in den Mittagsstunden belebt. „Das ist auch was, was wir für den Stadtwerder lernen können“, meint Glotz-Richter: So ein schönes Café gehört auch in die „umgedrehte Kommode“.
Nur eines lässt sich ganz sicher nicht mitnehmen: der weiße Wasserturm. Inzwischen Wahrzeichen des Geländes und noch immer in Betrieb, erklärt die Quartiers-Managerin: „Wenn bei Fussballspielen alle in der Stadt gleichzeitig auf die Toiletten gehen, sorgt das für Druckausgleich.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen