Der mit den Haien regiert

Es reicht nicht, den Tyrannen zu töten: Auch der peruanische Autor Mario Vargas Llosa hat jetzt endlich einen groß angelegten Diktatorenroman geschrieben – „Das Fest des Ziegenbocks“

von DIEMUT ROETHER

Der dominikanische Diktator Rafael Leonidas Trujillo pflegte zu Lebzeiten viele Rituale. Eines der subtilsten und psychologisch wirkungsvollsten war wohl der abendliche Spaziergang am Meer, bei dem er sich von etwa zwanzig Auserwählten begleiten ließ: Günstlinge, Militärs, Minister, Berater. Sie alle warteten auf eine Geste, die es ihnen erlauben würde, sich dem Chef, dem „Wohltäter, dem Vater des Neuen Vaterlandes“ zu nähern und so allen anderen zu zeigen, dass sie seiner Worte und seiner besonderen Aufmerksamkeit würdig waren. Auf diesem Prinzip beruhte das „System Trujillo“, wie es Mario Vargas Llosa in seinem Roman „Das Fest des Ziegenbocks“ beschreibt: Durch Vergünstigungen, Pfründen, Intrigen, Verleumdungen und Verrat gelang es dem „Wohltäter“, alle Dominikaner zu seinen Komplizen zu machen – dankbar für jedes Zeichen der Gunst, das er ihnen zukommen ließ, und in beständiger Angst, in Ungnade zu fallen. Wer von Trujillo mit Missachtung gestraft wurde, musste damit rechnen, bald in einem der berüchtigten Gefängnisse des Landes zu enden, wo die Festgenommenen mit wahrem Sadismus gefoltert wurden, bevor man sie den Haien vorwarf.

Trujillo war nicht der einzige grausame Diktator, den Lateinamerika im zwanzigsten Jahrhundert hervorbrachte und der lange Zeit von den USA gestützt wurde. Aber er war mit Sicherheit der schillerndste: Einen Operettenstaat hatte er zwischen 1930 und 1961 aus der Dominikanischen Republik gemacht. Seinen Sohn Ramfis ernannte er im Alter von sieben Jahren zum Oberst der dominikanischen Armee und beförderte ihn mit zehn zum General, die weit verzweigte Familie wurde mit Posten und Pöstchen in der Regierung und den staatseigenen Betrieben versorgt. Die Leidenschaft des „Ziegenbocks“, wie er wegen seiner sexuellen Eskapaden genannt wurde, galt Frauen, prächtigen, makellos sauberen Uniformen und barocken Gelagen.

Glaubt man dem peruanischen Schriftsteller – und zeitgenössische dominikanische Politiker und Wissenschaftler versichern, er übertreibe nicht – so musste er seine Phantasie für diesen Roman nicht sehr bemühen. Im Gegenteil. Die Monstrositäten und Gräueltaten, die er schildert, würde man ihm gar nicht abnehmen, wenn sie erfunden wären. Erfunden – allerdings auch nicht allzu weit hergeholt – ist wohl nur die Episode mit dem vierzehnjährigen Mädchen, das von seinem Vater, dem in Ungnade gefallenen Senatspräsidenten Agustín Cabral, dem Chef zugeführt wird, weil er hofft, mit diesem „Geschenk“ die Gunst des Diktators zurückzugewinnen.

Mit „Das Fest des Ziegenbocks“ reiht Vargas Llosa sich ein in die Tradition des lateinamerikanischen Diktatorenromans, die der Argentinier Domingo Faustino Sarmiento mit seinem historischen Epos „Facundo“ im neunzehnten Jahrhundert begründete. Der Peruaner tritt damit neben Gabriel García Márquez und Agusto Roa Bastos, die in ihren Romanen „Der Herbst des Patriarchen“ und „Ich, der Allmächtige“ den Mythos des Diktators verewigten, und neben Tomás Eloy Martínez, der in „Der General findet keine Ruhe“ eine Charakterstudie des argentinischen Generals Juan Domingo Perón vorlegte.

Vargas Llosa beschreibt in der ersten Hälfte des Romans den letzten Tag des „Ziegenbocks“ aus der Sicht des Diktators und aus der Sicht der Attentäter, die an der Landstraße auf den hellblauen Chevrolet Bel Air warten, mit dem der Chef zu seinem Landgut fährt, wo er die Nacht mit einem jungen Mädchen verbringen will. Er schildert die Demütigungen und Frustrationen, die schließlich dazu geführt haben, dass einige der überzeugtesten jungen Männer des Regimes sich von Trujillo abwandten und ein Attentat gegen ihn planten. Doch die Attentäter sind so sehr auf die diabolische Figur des Diktators fixiert, dass sie sich wenig Gedanken darüber gemacht haben, was nachher aus ihnen und dem Land werden soll.

Es kommt, wie es kommen muss: Der Diktator wird zwar getötet, doch die „Säulen“ des Regimes bleiben. Die folgende erbarmungslose Verfolgung der Attentäter und ihrer Sippen durch Trujillos Söhne und Brüder steht im Vordergrund des zweiten Teils des Romans, in dem Vargas Llosa auch vom unaufhaltsamen Aufstieg des „Marionettenpräsidenten“ Joaquin Balaguer an die Spitze des Staates erzählt. Balaguer, den Trujillo selbst eingesetzt hatte, bot sich den Amerikanern nach dem Attentat als geeignete Figur an, die Dominikanische Republik in die Demokratie zu führen. Die USA, die um jeden Preis ein „zweites Kuba“ in der Karibik verhindern wollten, stützten den Mann, der sich fast so lange an der Spitze des Staates hielt wie der Diktator vor ihm: Sieben Amtszeiten, 28 Jahre lang, regierte das „Nichts“, wie Trujillo seinen ergebenen Diener im Geheimen genannt hatte.

Wie Sarmientos „Facundo“ oder Eloy Martínez’ Peron-Porträt ist auch „Das Fest des Ziegenbocks“ ein Zwitterwesen zwischen Roman und Geschichtsbuch: Die meisten Fakten, auf die Vargas Llosa sich bezieht, sind historisch verbürgt – sei es der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe, die sich Anfang der Sechziger von dem Regime distanzierten, zu dem sie jahrzehntelang beste Beziehungen gepflegt hatten, oder sei es die Ermordung der drei Schwestern Mirabal, die allgemein als Auslöser für das Attentat vom 30. Mai 1961 angesehen wird. Doch Vargas Llosa geht als Romancier weiter als die Geschichtsschreiber, indem er sich in die historischen Figuren hineinversetzt, versucht, ihre Verhaltensweisen und Motive zu ergründen, ihnen eine innere Stimme gibt.

Bestechend logisch sind seine Beschreibungen, wie das System der Korruption und der Intrige funktioniert. Die Charakterisierungen des opportunistischen Senators und Rechtsverdrehers Henry Chirinos und des unscheinbaren, aber redegewandten Präsidenten Joaquín Balaguer, der dank seines „mangelnden Ehrgeizes“ zum ersten Mann der Nation wird, sind Meisterwerke der politischen Literatur. Wie es diesen beiden Strategen gelingt, mittels Schmeicheleien und starker Verbündeter alle Umstürze zu überstehen, sagt mehr über die Perversionen der Macht als der Aufstieg und Fall der Familie Trujillo. Bestimmt profitiert Vargas Llosa in diesen Passagen auch von seinen Erfahrungen aus dem peruanischen Wahlkampf im Jahr 1990, als er sich um die Präsidentschaft seines Landes bewarb und schließlich im zweiten Wahlgang dem damals unbekannten „Chinesen“ Alberto Fujimori unterlag.

Der peruanische Schriftsteller spielt souverän auf der Klaviatur des historisch-politischen Romans: Er beherrscht die Fakten, ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen. Scheinbar mühelos wechselt er die Zeitebenen und die Perspektiven, entwirft eine grelle karibische Welt, deren spottlustige, blumige Sprache Elke Wehr überzeugend ins Deutsche übertragen hat. Und er stellt zwei Themen in den Vordergrund, die ihn ein Leben lang umgetrieben haben: Die Auseinandersetzung mit dem autoritären Vater und die Sehnsucht nach Freiheit. Die Geschichte des Vaters, der sein Leben dem Diktator geweiht hat und schließlich sogar die eigene Tochter verrät, ist ein beklemmendes Beispiel für die Verstrickung eines Einzelnen in das System. Der Wunsch, die Dominikaner aus dieser unheilvollen Verstrickung zu befreien und ihnen den freien Willen zurückzugeben, treibt die Attentäter an. Doch wie Sarmiento kommt auch Vargas Llosa zu dem wenig utopischen Schluss, dass es nicht damit getan ist, den Tyrannen zu töten. Man müsste schon die Verhältnisse ändern.

Mario Vargas Llosa: „Das Fest des Ziegenbocks“. Aus dem Spanischen von Elke Wehr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2001, 540 Seiten, 49,80 DM