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Das Geld kommt auf die Rabenbank

Kinderarbeit als pädagogisches Konzept. Amt für Arbeit und Erfindung bietet nützliche Betätigung gegen Entlohnung

WIESBADEN taz ■ Der bunte Schmetterling auf Rosas Kopf vibriert, die Spitzen der beiden Zöpfe wippen. Rosa schiebt im Eifer die Zunge vor und flitzt, die blaue Arbeitsschürze flattert. Schnell soll es gehen. Rosa ist sieben Jahre alt und arbeitet im Akkord. Sie schöpft Papier, hellblaue, rosa, weiße Rechtecke: eingeweichte Papiermasse in den Holzrahmen füllen, glatt streichen, Kasten auf einem Handtuch gekonnt umkippen, Papierblatt herausklopfen, trocknen. Ihr gegenüber sitzt die sechsjährige Soumia. Auch sie arbeitet. Langsamer und viel geduldiger als Rosa gießt sie Kerzen. Am Ende des Tages haben beide Kinder Geld verdient – gleich viel: Rabengeld, das ihnen ausgezahlt oder auf einem Sparbuch bei der Rabenbank gutgeschrieben wird. Arbeitgeber ist das Wiesbadener Amt für Arbeit und Erfindung.

Kinderarbeit in der hessischen Landeshauptstadt? Der Diplompädagoge Jörg Pöse hat das Projekt im Sommer 1999 begonnen. Der 38-Jährige hat Philosophie und Pädagogik studiert und sich als Betreuer seine eigenen Gedanken über die Wünsche von Kindern gemacht. Zuallererst einmal wollen sie, findet er, ernst genommen werden, nützlich sein und einen Gegenwert dafür bekommen – so wie die Erwachsenen auch. Er bot ihnen Arbeit an, und die Sechs- bis Zwölfjährigen waren mit Feuereifer dabei: Gartenpflege, Hecken schneiden, Rasen mähen.

Pöse staunte über die Kinderträume: „Die wollten auch unbedingt bügeln und das Treppenhaus wischen.“ Neue Vorschläge entstanden gemeinsam mit den Kindern, wandelten sich von der Nachahmung der Tätigkeit Erwachsener zu eigenen Gestaltungsideen. Die Kinder wurden Produzenten und Händler. Auf dem Rabenmarkt verkauften sie Kerzen, Spielzeug, Malbücher. Der Erlös wurde teils angespart, teils investiert, zum Beispiel in neue Kerzengussformen, in ein Puppenspielfestival oder in das Rabencafé. Und sie lernten, dass auch das eigene Vergnügen Geld kostet. Gemeinsame Ausflüge und Übernachtungen müssen vom Ersparten mit finanziert werden.

Die Rabenwährung ist teils eine hausinterne, teils wird sie mit Hilfe der Erwachsenen in herkömmliches Geld konvertiert. Die Eltern, die das Projekt erst als nicht kindgerecht abgelehnt hatten und sich dann überzeugen ließen, erstanden Aktien der Rabenbank. Die steht in einer Ecke des Arbeitsraumes, der Schalter ist zwar nur aus Pappe, sieht aber sehr modern und professionell aus. Die meisten Kinder sparen nicht für Süßigkeiten, sondern wollen zum Einkommen beitragen und legen das Geld auf die hohe Kante, für Mama, Papa oder die Geschwister.

Bankdirektor ist zwar Jörg Pöse, aber die Kinder führen die Kasse und kontrollieren ihn streng. Über die Bank werden auch Kredite vergeben und Schulden getilgt. Gemeinsame Anschaffungen für die Produktion müssen auch gemeinsam abbezahlt werden. Manche Kinder subventionieren das Projekt selbst duch Spenden.

Rosa ist von oben bis unten voll gekrümelt und steht sinnend vor dem jüngsten Ergebnis ihres Übereifers: Papiermatsch. Sie ist gestresst und lernt gerade Geduld, denn Soumia berät sie, gießt dann mit ruhiger Hand Wachs nach und erläutert die Kerzenproduktion.

Am Ende des Tages, sagt Jörg Pöse, „hat jede ein Ergebnis“. Alle gehen zur Bank und werden entlohnt, alle räumen ihre eigenen Arbeitsplätze auf und einige reißen sich fast darum, den Staubsauger durch den Raum schieben zu dürfen. Dass Pöse dabei auch die Erwachsenen bildet, steht in seinem ersten Zwischenbericht: „Es bedarf der aufklärenden Arbeit bezüglich der vollbrachten Leistung der Kinder und der Erwartungshaltung von Erwachsenen.“ HEIDE PLATEN

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