: sergej lochthofen zur stasi-überprüfung von journalisten
„Die Gesellschaft wartet auf eine Parteiversammlung“
taz: Dem Mitteldeutschen Rundfunk wird vorgeworfen, sich nicht ausreichend mit der Stasivergangenheit seiner Journalisten beschäftigt zu haben. Wie war es bei der „Thüringer Allgemeinen“, die unter dem Namen „Das Volk“ schon in der DDR erschienen ist?
Sergej Lochthofen: Wir waren die erste Zeitung, die sich im Osten unabhängig gemacht hat. Natürlich gab es da einen personellen Schnitt in der Redaktion. Eine ganze Reihe ist freiwillig gegangen oder wurde aufgefordert zu gehen, weil sie nicht bereit waren, für eine unabhängige Zeitung zu arbeiten, ein Teil davon waren auch informelle Mitarbeiter der Stasi. Das Ganze ist relativ unspektakulär verlaufen. Aber ich habe heute mitunter das Gefühl, es ist einigen nicht genug. Offenbar wartet die Gesellschaft auf eine Parteiversammlung, bei der man öffentlich exekutiert. Bei uns vollzog sich der Prozess über Jahre hinweg. Sicher werden wir auch in zwanzig Jahren noch einzelne Fälle haben und darüber reden müssen.
Das Thema holt alte SED-Bezirkszeitungen immer wieder ein. Wäre es nicht klüger, alle Journalisten auf Stasi-Tätigkeit zu überprüfen und das Thema dann abzuhaken?
Das ist eine Illusion. Einen Generalverdacht gegen alle halte ich für unakzeptabel. Wir sind nicht mehr in der DDR, wo bei jedem, über den man schreiben wollte, überprüft werden musste, ob er einen Ausreiseantrag in den Westen gestellt hat. Auch ich habe 1990 darüber nachgedacht, alle Redakteure überprüfen zu lassen. Aber schon da habe ich gesagt, angesichts der Lücken in den Akten und der damit verbundenen Unklarheiten wird das Thema immer wieder hochkommen – selbst wenn wir alle überprüfen. Damals entschied die Geschäftsführung der WAZ-Gruppe, zu der wir gehören, der Westen hat es nicht erlebt, und daher möchte man nur konkrete Einzelfälle prüfen.
Wenn Sie warten, bis ein konkreter Verdachtsfall an Sie herangetragen wird, sind Sie automatisch in der Defensive.
Dagegen können wir uns nicht schützen. Natürlich gibt es andere Methoden. Einige Verlage haben die Stasi-Überprüfung benutzt, ihre Redaktionen personell auszudünnen. Wir haben, falls es bei uns einen Einzelfall gab, immer mit den Betroffenen gesprochen; uns gefragt: Ist das ein Grund, ihn nicht mehr zu beschäftigen, welche Formen der Zusammenarbeit mit der Stasi gab es? Das muss man alles überlegen. Wie schnell Unbelastete in Verruf kommen, habe ich selbst erlebt. Ich bin in in einem russischen Internierungslager geboren und erst mit fünf Jahren nach Thüringen gekommen. Als ich endlich meine Akten zu Gesicht bekam, stellte sich heraus, dass auch der KGB Interesse an mir zeigte. Zwei Jahre später saß ich mit Kollegen zusammen und erzählte ihnen davon – und die wussten das schon: Bei der Stasi war er nicht, aber für den KGB hat er vielleicht gearbeitet, hieß es. So entstehen Gerüchte – zwei Kollegen aus dem Westen habe das verbreitet.
Ein Antrag der gesamten Redaktion bei der Gauck-Behörde auf Selbstauskunft und eine anschließende offene Diskussion hätte Ihnen das erspart.
Aber ich bitte Sie. Wie komme ich dazu, meine Akte öffentlich zu machen. Da steht so viel Unsinn drin. Wer sind Sie denn? Wieso maßen Sie sich an, über mein Leben etwas wissen zu wollen?
Lehnen Sie auch die jetzt beginnenden Überprüfungen beim Mitteldeutschen Rundfunk ab?
Nein. Die können die Regelüberprüfung machen. Es ist ihre Entscheidung, soweit sie in der Situation noch objektiv entscheiden können.
Ganz klar wird mir Ihr Standpunkt nicht: Auf der einen Seite sagen Sie, Sie wollen Journalisten nicht in Generalverdacht nehmen. Auf der anderen Seite überprüft der MDR das gesamte Personal auf Stasi-Tätigkeit – und da sagen Sie, das gehe in Ordnung?
Wie ich es kenne, hatte man ja bereits eine Überprüfung vorgenommen. Und da kam ein Gremium des Mitteldeutschen Rundfunks zu dem Schluss, dass in einzelnen Fällen eine weitere Beschäftigung möglich ist. Ob man in der jetzt entstandenen Situation noch differenzieren kann, wage ich zu bezweifeln.
INTERVIEW: RALF GEISSLER
SERGEJ LOCHTHOFEN (47) wurde nach den Wende von Mitarbeitern zum Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen (früher Das Volk) gewählt.
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