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Beweise verzweifelt gesucht

Wie begann der Kosovokrieg? Mit einer medialen Lüge von Rudolf Scharping, sagt ein WDR-Team. Der Verteidigungsminister fühlt sich verleumdet. Widerlegen kann er den Vorwurf bisher nicht. Nun hofft er, dass der Rundfunkrat ihm zur Seite steht

von BETTINA GAUS

Rudolf Scharping gibt nicht auf. Bislang ist es dem Verteidigungsminister trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, ein Gremium oder eine Institution zu einer Distanzierung oder gar einer Verurteilung des WDR-Films „Es begann mit einer Lüge“ zu veranlassen, der sich kritisch mit der Informationspolitik der Bundesregierung während des Kosovokrieges befasst. Jetzt setzt der SPD-Minister seine Hoffnung auf eine Rundfunkratssitzung heute in Dortmund.

Am 16. März hatte Scharping den Leiter seines Ministerbüros einen Brief an den Rundfunkratsvorsitzenden Reinhard Grätz schreiben lassen. Der Verfasser gab dem Film zwar bereits im ersten Satz einen falschen, seltsam biblisch anmutenden Titel („Am Anfang war die Lüge“), vertrat sein Anliegen aber ganz unmissverständlich: „Minister Scharping bittet, den Rundfunkrat des WDR mit diesem Beitrag zu befassen und ihn über das Ergebnis zu informieren.“

Es wäre erfreulich für Rudolf Scharping, wenn sein Parteifreund Grätz in dem Gremium etwas für ihn erreichen könnte. Bisher nämlich beschränkt sich die Kritik an den Filmautoren Mathias Werth und Jo Angerer auf unbewiesene Schmähungen. Der SPD-Fraktionsvize Gernot Erler warf ihnen einen Journalismus vor, der auf „reißerische Effekte“ abziele. Sein Kollege Eberhard Brecht forderte den WDR-Intendanten gar vom Rednerpult des Bundestages auf, sich von den „beiden Herren“ zu trennen, weil deren Arbeit „nicht in Übereinstimmung mit dem Ethos eines Journalisten“ stehe.

Ist das so? Scharping hat keine Mühen gescheut, um diesen Vorwurf gegenüber Autoren zu belegen, die ihm gezielte Manipulation der Öffentlichkeit vorwerfen. Zeugen, die von den WDR-Journalisten befragt worden waren, wurden im Kosovo in ein Flugzeug der Luftwaffe gebracht – dort gilt deutsches Recht – und dann vor einem Notar und einem Dolmetscher verhört. Das Ergebnis ist mager.

Umstritten sind unter anderem die Umstände eines Blutbads am 29. Januar 1999 im Ort Rugovo. Scharping hatte später auf einer Pressekonferenz von einem Massaker gesprochen. Aus einem vertraulichen Bericht des Führungszentrums der Bundeswehr geht hingegen hervor, dass es sich um ein Gefecht zwischen UÇK und serbischen Kräften gehandelt hat. Eine OSZE-Untersuchung kommt zu demselben Ergebnis. Ungeachtet dessen fordert der prominente Medienanwalt Matthias Prinz den WDR auf, „nicht länger den unzutreffenden Eindruck zu erwecken,“ es habe sich bei allen Toten in Rugovo um UÇK-Soldaten gehandelt. Das hatten die Filmautoren nie behauptet.

Prinz vertrat die Interessen von Scharpiung, der ursprünglich geglaubt zu haben schien, dass sein Missfallen allein für den WDR ein hinreichend guter Grund sein müsse, um von der eigenen Berichterstattung abzurücken. Am 2. März forderte Prinz den WDR zu einer Unterlassungsverpflichtungserklärung auf. Begründung: „Der oben genannte Artikel verletzt die Rechte unserer Mandantschaft.“

Mit dem Wort „Artikel“ war erkennbar der Fernsehbeitrag gemeint. Was der Anwalt sonst noch gemeint haben könnte, ist schwerer zu durchschauen. Prinz erklärte nämlich weder, worin die Verletzung von Scharpings Rechten bestand, noch erläuterte er, warum der Sender bestimmte Aussagen nicht wiederholen dürfe. Entsprechend kühl reagierten die WDR-Juristen. Sie wiesen die Forderung zurück und schrieben, es sei ihnen nicht möglich, „zum Begehren im Einzelnen zu replizieren“, da Prinz die behaupteten Rechtsverletzungen nicht begründet habe. Mehr hat Rudolf Scharping auf juristischem Weg bisher nicht erreicht.

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