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Ein Fanal gegen die Modernisierung

Die 35-jährige Christina B. versuchte eine Tankstelle zur Explosion zu bringen – als Protest gegen Veränderungen, Baustellen und die Rechtschreibreform. Wegen Schizophrenie wurde die Frau gestern vom Landgericht in die Psychiatrie eingewiesen

von KIRSTEN KÜPPERS

Christina B. wollte ein Zeichen setzen. Es war ein schwerer Tag gewesen, überhaupt schlief die 35-Jährige zur Zeit schlecht. Das Baby hatte wieder in der Nacht geschrien, sie war müde. Zur Entspannung trank die gelernte Revolverdreherin Christina B. noch ein Dosenbier. Den Kindern in der Stadt ist das doch auch alles zu viel, dachte sie dabei. Die Veränderungen, die Baustellen, die Rechtschreibreform – zu große Ungerechtigkeiten, gegen die es endlich einmal ein Fanal geben sollte, sagte sie sich. Die allein erziehende Mutter aus Wilmersdorf beschloss, eine Tankstelle zur Explosion bringen.

In den frühen Abendstunden des 11. Juli vergangenen Jahres betrat Christina B. das Gelände der modernisierten BP-Tankstelle am Südwestkorso. Mehrere Kunden und Angestellte befanden sich auf dem Areal. Christina B. steuerte über eine Grünfläche auf die Zapfsäule 4 zu. Sie zog die Zapfpistole aus dem Haltering und schrie: „Gott hat uns gerufen, wir müssen alle kommen!“ Mit ihrem Daumen schnipste sie dabei an einem Feuerzeug.

Noch bevor Christina B. indes die Zapfpistole entzünden konnte, eilte ein Kassierer der Tankstelle herbei, nahm der Frau das Feuerzeug aus der Hand und drängte sie von der Zapfsäule weg. Bei der Festnahme sei die Beschuldigte sehr aggressiv gewesen, meinte gestern die Dienst habende Polizeibeamtin vor dem Landgericht, wo Christina B. der Prozess gemacht wurde. 2,1 Promille habe die Angeklagte an dem besagten Abend im Blut gehabt.

Christina B. gilt als schuldunfähig. Nicht wegen der festgestellten Alkoholmenge, sondern weil sie laut des psychiatrischen Sachverständigen unter paranoider Schizophrenie leidet. Das Unrecht ihres Verhaltens sieht die blonde Frau nicht ein. Mit eckigem Gang ist sie vor den Richter getreten und erzählt mit schleppenden Sätzen, aber beherrscht, den Tathergang. Der Sachverständige sagt später, es handele sich um eine krankhafte seelische Störung, die sich im Laufe des Lebens bei Christina B. immer weiter aufgebaut habe.

Schon mehrmals hatte sie in der Vergangenheit versucht, gegen die Modernisierung der Welt zu protestieren. Längst kämen die Berliner Kinder mit dem ständigen Wandel nicht mehr mit, findet sie.

Einmal hat sie deswegen eine Gartenlaube angezündet, ein anderes Mal brennende Gegenstände in eine Schaufensterscheibe geworfen, dann eine Tankstelle am Heidelberger Platz in Flammen gesetzt.

Derzeit steht Christina B. wieder unter Medikamenteneinfluss. Die mit blauem Kajalstift umrandeten Augen folgen den Ausführungen des Sachverständigen zwar wach, aber mit fast behäbiger Gelassenheit. Zum Zeitpunkt der Tat hatte Christina B. die Tabletten gegen ihre psychotischen Störungen abgesetzt. Vor dem Ausflug zur Tankstelle hatte die junge Frau noch in betrunkenem Zustand versucht, ihr Baby in der Badewanne zu ertränken. Das Landgericht ordnete gestern die Unterbringung von Christina B. in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

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