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Freiheitssprünge

■ Wie Kinder sind Michel Dector und Michel Dupuy durch den Bremer Westen gestreift. Es entstand eine überraschende Bildershow

Fast alle Eltern kennen das. Sie leben mit ihren Kindern in derselben Stadt. Doch wenn sie sich mit ihnen über die Umgebung unterhalten, ist es so, als reden sie über eine andere Stadt und veränderten sich Entfernungen oder Gebäude. So betrachtet, sind auch Michel Dector und Michel Dupuy Kinder. Die beiden Konzeptkünstler sind zwar schon um die 50 Jahre alt, doch es muss eine Art kindliche Neugier gewesen sein, mit der sie drei Tage lang durch Bremen-Gröpelingen gestreift sind. Und sie haben dabei für „Erwachsene“ Überraschendes zu Tage gefördert.

Normalerweise erregen zerbrochene Flaschen an der Bordsteinkante, überfahrene Tiere und vor allem Graffiti die Aufmerksamkeit der beiden in Paris lebenden Künstler. Auch haben sie sich schon für mutwillig in Autokarosserien geritzte Kratzer interessiert und daraus Ende 1994 eine Ausstellung im KünstlerHaus am Deich entwickelt. Damals war Horst Griese Kurator der Galerie im Künstlerhaus. Derselbe Horst Griese ist heute Herr über das Kunstprogramm „.plus neue kunst“ im Gröpelinger Lichthaus (die taz berichtete) und hat in dieser Eigenschaft die beiden Michels erneut nach Bremen eingeladen.

Dector und Dupuy wollten nicht einfach eine Ausstellung in Bremen anrichten. Sie sammeln Eindrücke vor Ort, destillieren Kunst daraus und geben ein Produkt zurück. So sind sie durch Gröpelingen gestreift, haben fotografiert und diese Aufnahmen zu einer Art Dienstleistung unter dem Titel „3 Zärtlichkeiten“ weiterverarbeitet. Ein Plakat ist entstanden, das als ungewöhnliche Form von Stadtteilmarketing und zugleich als deren Parodie verstanden werden kann. In vier Teile geschnitten, wurden Tisch-Sets daraus, die ab heute in Restaurants und Cafés sowie möglichst auch in Schulen Verwendung finden sollen.

Die Motive sind aus Frosch- und Kinderperspektive erstellte Fotos von Graffiti und Kunstobjekten im öffentlichen Raum, mit denen Gröpelingen auch dank der Bildhauerwerkstatt im Knast vollgestellt ist. Auffällig dabei: Das aufspringende Pferd ausgerechnet vor den Gefängnismauern, das für Griese als Symbol für den Stadtteil stehen kann. Für noch auffälliger hielt das Duo aber die Vielfalt von Fassadenverkleidungen und -farben. Eine auch und gerade für BremerInnen überraschende Kollektion haben die beiden zusammengetragen. Denn es ist nun mal so, dass Kinder oder Leute von außerhalb oft viel mehr sehen als Einheimische. Einen Stadtteil etwa, in dem nach Auskunft der beiden Franzosen ein starker Überlebenswille spürbar ist. Und das gilt unabhängig vom Space Park.

Sechs Motive haben Dupuy und Dector für ein Plakat benutzt. Fünfzig weitere Motive sind Teil einer Bildershow, die am heutigen Freitag auf großer Leinwand gezeigt wird. Sie ist nicht nur für GröpelingerInnen oder Kunst-Interessierte sehenswert. Nur der Präsentationszeitpunkt um 17 Uhr ist eine Fehlentscheidung. ck

Präsentation von „3 Zärtlichkeiten“ am heutigen Freitag, 27. April, um 17 Uhr im Lichthaus, Straßenbahnlinie 3, Haltestelle Use Akschen.

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