: „Nicht kneifen vor Autonomen und Polizei“
Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Bärbel Grygier (für die PDS), will mit dem 1.-Mai-Fest auf dem Mariannenplatz ein Gegengewicht gegen das polizeiliche Demonstrationsverbot und mögliche Randale setzen
taz: Frau Grygier, mit welchen Gefühlen sehen Sie dem 1. Mai in Kreuzberg entgegen?
Bärbel Grygier: Mich ärgert zutiefst, dass Innensenator Eckart Werthebach für diesen Tag die harte Linie ausgegeben hat. Wir waren schon ein Stück weiter und mit der Deeskalationsstrategie auf dem richtigen Weg. In der Zusammenarbeit mit der Polizei gab es einen Quantensprung. Diese Chance hat der Innensenator nun zunichte gemacht. Auch die Gewerkschaft der Polizei und der zuständige Polizeiabschnitt sind sich in der Einschätzung einig, dass das Verbot erst recht dazu provoziert, mit der Polizei Katz’ und Maus zu spielen. Ich hätte mich gefreut, wenn Herr Werthebach vorher vielleicht mal mit dem Bezirksamt gesprochen hätte.
Die Antifaschistische Aktion (AAB) hat gedroht: „Wenn die Nazis demonstrieren dürfen und wir nicht, dann platzt hier der Mond.“ Was können Sie als Bürgermeisterin in so einer zugespitzten Lage noch tun?
Die Mitglieder des Bezirksamtes werden bei dem 1.-Mai-Fest auf dem Mariannenplatz vor Ort sein. Das ist für uns die zentrale Stelle. Die Polizei hatte uns mit Blick auf die autonomen Gruppen die freundliche Empfehlung gegeben, das Fest lieber sein zu lassen. Das haben wir aber abgelehnt, das Fest hat als Familienveranstaltung Tradition. Der Innensenator muss sehen, wie er an den verschiedenen Stellen den Brand löscht.
Können Sie sich angesichts von mehreren tausend Polizisten, die schwerpunktmäßig in Kreuzberg eingesetzt sein werden, noch eine fröhliche Maifeier vorstellen?
Ich hoffe es doch sehr. Ein fröhliches Maifest beinhaltet meiner Meinung auch das Recht auf friedlichen Protest. Mit dem Straßenfest wollen wir ganz bewusst ein Gegengewicht gegen das Verbot der Demonstration und gegen die Randale setzten. Man darf nicht kneifen, weder vor den Autonomen noch vor der Polizei.
Sind Sie nicht etwas blauäugig? Das Fest am Mariannenplatz war schon früher oft der Punkt, an dem es zuerst geknallt hat.
Mit Blauäugigkeit hat das nichts zu tun. Die Verantwortlichen vom Bezirksamt und den Parteien werden alle vor Ort sein und der Polizei als Kooperationspartner zur Verfügung stehen. Wir haben mit der Polizei verabredet, dass beim Straßenfest in der Zeit zwischen 14.00 und 18.00 Uhr – im Fall einer Verlängerung bis 19.30 Uhr – keine uniformierten Beamten eingesetzt werden. Die Alternative dazu wäre, sich hinter den Fenstern zu verbarrikadieren. Das kann es doch nicht sein.
Und was passiert später am Abend?
Das hängt von vielen netten Faktoren ab: Ist es warm, haben die Leute schon viel getrunken, sind sie in Kleingruppen unterwegs . . . Kälte und Regen könnten zumindest helfen. Die CDU ist der Auffassung, dass die Polizeipräsenz zu mehr Sicherheit in Kreuzberg führt. Ich persönlich glaube das nicht. Wir werden die Aktivitäten der Polizei an dem Abend und in der Nacht genau beobachten.
Können Sie als Ostlerin mit der Randale-Tradition am 1. Mai in Kreuzberg überhaupt etwas anfangen?
So etwas gab es doch auch schon in Prenzlauer Berg. Das ist eine Altersfrage. Ich könnte mir vorstellen, dass es mir vielleicht auch Spaß machen würde, wenn ich zwischen 16 und 20 Jahre alt wäre. Wenn es einen Grundkonsens gäbe, damit nicht dem Vandalismus Vorschub zu leisten, könnte man sich für diesen Tag viele kreative Sachen ausdenken.
Es gibt auch ältere Kreuzberger, die am 1. Mai den einen oder anderen Blumentopf vom Balkon fallen lassen.
Wer kann das nicht nachvollziehen bei dem vielen Frust (lacht). Ich kann sogar verstehen, dass da noch ein Ansatz von politischen Intentionen dabei ist. Wenn ich mir die vielen jungen Migranten angucke, die keine Lehrstelle haben. Es ist der Tag, um sich laut zu artikulieren. Ich finde es spannend, dass wir in dieser Hinsicht zu einem Tourismusort geworden sind. Vielleicht sollten wir mal darüber nachdenken, in Kooperation mit der Polizei Eintritt für die Maifestspiele zu nehmen.
INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen