piwik no script img

Electronic Ladyland

Techno versprach einst die Auflösung tradierter Geschlechterverhältnisse. Die Realität ist ernüchternd: Über Frauen in der elektronischen Musikszene

von ANDREAS HARTMANN

You never walk alone! Mit diesem Versprechen fordert „Electric Indigo“, eine Technoproduzentin aus Wien, andere Frauen dazu auf, sich in die von ihr initiierte Mailingliste „Female Pressure“ einzutragen. Electric Indigo möchte „unsere“ Szene und „unser“ Netzwerk damit stärken, der unübersehbaren Herrschaft der Männer im Bereich der elektronischen Musik etwas entgegensetzen und deutlich machen: „Wir“ sind auch da.

Nur: Wo sind sie eigentlich, die Frauen im Techno? An den Plattenspielern der großen Clubs und an den Laptops offenbar zu selten: Unter den einflussreichen Persönlichkeiten der Technoszene, die 1995 im Standardwerk „Techno“ porträtiert wurden, findet sich, neben acht Männern, mit Miss Djax gerade mal eine Frau. Und die Popjournalistin Heike Blümner resümiert im neuen Suhrkamp-Reader „Sound Signatures“, bei den Teenie-Popstars sei „das Geschlechterverhältnis wesentlich ausgeglichener als zum Beispiel bei DJs und Produzenten“.

Dass in der Popmusik an den entscheidenden Stellen Männer die Diskurse regeln, Medienhypes gewähren oder verhindern und für das Programm der Clubs zuständig sind, ist eine altbekannte Beobachtung. Doch dass ausgerechnet im Bereich der elektronischen Musik, von der man sich einmal die Auflösung fixierter Geschlechteridentitäten erhoffte und wo – auch durch den Konsum der weich machenden Droge Ecstasy – das Ende des Machismos auf dem Dancefloor erhofft wurde, die Strukturen so patriarchalisch sind wie eh und je, das ist doch einigermaßen ernüchternd. Die Kulturwissenschaftlerin Angela Mc Robbie ist der Meinung, dass Techno längst nicht mehr eine utopistische Subkultur mit eigenen Regeln ist, sondern sich den gesellschaftlichen Verhältnissen angepasst hat. Die Organisatoren von Raves seien meist alte Säcke, die eine Karriere als DJs hinter sich haben, während ihre Freundinnen an der Kasse aushelfen, hinter der Bar stehen oder ein paar Flyer verteilen dürfen. „Die Ravekulturindustrie reproduziert somit die geschlechtsspezifische Aufteilung von Arbeit, welche nicht nur in der Popmusikindustrie besteht, sondern auch in den meisten anderen Arten von Arbeit und Beschäftigung.“

Der Sektor Dance, der sich immer damit rühmte, die Zukunft ins Jetzt zu holen – und die Zukunft versprach auch die Auflösung tradierter Geschlechterrollen –, ist also weit weniger progressiv, als oft angenommen wurde. Der englische Kulturwissenschaftler Jeremy Gilbert, der in seinem Buch „Discographics“ unter anderem dem Zusammenhang von Dance, Gender und Sexualität nachging, verlieh in einem Interview sogar der Befürchtung eines Backlashs Ausdruck: „Insgesamt bleibe ich optimistisch, dass der breite Trend zur Dekonstruktion patriarchaler Strukturen anhalten wird. Aber wie sich das genau auf die Dance-Kultur auswirken wird, ist schwer zu sagen.“ Er schließt daraus: „Wäre ich heute ein/e achtzehnjährige FeministIn, so würde mich die Dance-Kultur vermutlich stark anöden, und ich würde mir wahrscheinlich alte Bikini-Kill-Platten raussuchen.“

Dass es im elektronischen Sektor weniger sexistisch zugehen könnte, diese Vorstellung geht auf den Anspruch von Techno zurück, nichts und niemanden auszuschließen – außer den Ausschluss selbst. Anders als im Rock gibt es in der meist textlosen elektronischen Musik keinen eindeutig identifizierbaren Sender, keine männliche oder weibliche Stimme und keine Möglichkeiten für „hate speech“. Thomas Meinecke wirft in seinem Roman „Tomboy“ sogar die Frage auf, ob die Musik des Elektroniklabels Source nicht die am wenigsten phallische Musik überhaupt sei – weil androgyn, weil sanft klingend. Eine solche Argumentation übersieht jedoch, dass man sich auch den übelsten Cock- und Schweinerock aneignen und umcodieren kann, wie es etwa die Rrrriot Grrrrls vorgemacht haben. Entscheidend bleibt daher die Frage: Wer macht eigentlich die Musik?

Gegen was der Feminismus seit je eingetreten ist, ist Geniekult. Das lässt sich auch auf den Kosmos der elektronischen Musik übertragen. Man muss mit der Kritik schließlich gar nicht erst beim offenen Sexismus im verbrämten Ironiemäntelchen bei Gabba-Acts wie Sperminator beginnen, die mit Tracks wie „No Woman Allowed“ recht deutlich werden. Mit Aphex Twin und dem Aufkommen der Laptop-Elektroniker mit Musikhochschuldiplom hat sich im Techno das Bild des tüftelnden Nerd – dahinter steckt eigentlich immer ein Junge – und damit so etwas wie ein neuer Geniekult etabliert. Die Popjournalistin Elisabet Vincentelli meint: „Die einsame Technoverklemmtheit, die so ein Computer ausstrahlt, scheint für Jungs nicht so unangenehm zu sein wie für Mädchen – ein Mädchen wird vielleicht in die Magersucht getrieben vor lauter Selbstzweifel und Einsamkeit, während ein Typ zum brillanten Einsiedler wird.“ Eine mögliche Erklärung, warum sich gerade im Bereich der hyperkomplexen Electronica keine Frau einen ähnlichen Ruf wie etwa Autechre erarbeiten konnte. Überhaupt gibt es hier so gut wie keine Platten von Frauen – abgesehen vielleicht von Susanne Brokesch. Doch so überraschend, wie ihre Platte „Sharing The Sunhat“ vor ein paar Jahren erschien, so bezeichnend, dass sie ziemlich ignoriert wurde. Seitdem hat man von ihr nichts mehr gehört.

„Frauen müssen erst mal ein Selbstvertrauen im Bereich der elektronischen Musik entwickeln, bevor sie sich selbst respektieren können. Die haben da einiges nachzuholen“, meint Hanin Elias, die zu Atari Teenage Riot gehört und die vor kurzem mit Fatal ein Label gegründet hat – „für Männer und Frauen, die eine Nische für sich haben wollen. Ohne Techniksprache und Spezialistengeschwafel.“ Es ist auffällig, dass als Produzentinnen elektronischer Musik vor allem solche Frauen erfolgreich sind, die einen anderen Umgang mit der Technik an den Tag legen als ihre männlichen Kollegen. Hanin Elias meint: „Ich lese mir nie die Anleitungen für die Geräte durch, ich lasse mir lieber etwas zeigen. Nicht von Nerds, sondern von Freunden. Ich will mit den Dingern arbeiten, und zwar sofort.“ Die Chicks On Speed, die mit „Kaltes Klares Wasser“ gerade einen überraschenden Chart-Hit landen konnten, haben nie einen Hehl daraus gemacht, sich ihre Tracks von befreundeten (männlichen) Produzenten zusammenschustern zu lassen. Sie eignen sie sich aber dadurch an, dass sie dazu performen.

Auch Ellen Allien hat für ihren ersten Longplayer „Stadtkind“ nicht erst zusätzliche Übungsstunden im Studio genommen, sondern die gesamte Platte einfach zusammen mit befreundeten Toningenieuren erbastelt. Trotzdem steht die Platte als lupenreine Ellen-Allien-Platte in den Läden. So machen es schließlich auch anerkannte DJ-Ikonen wie Sven Väth, die vielleicht sogar Probleme haben, den An-Knopf am Computer zu finden. Doch darüber wird in der Szene lieber bloß gemunkelt – könnte ja Majestätsbeleidigung sein.

Zwar gibt es auch erklärte Selbsttüftel-Produzentinnen wie Lektrogirl, Kelly Hand oder Leila, und die Plattenfirma Law & Auder hat sogar eine Doppel-CD „Female Of The Species“ ausschließlich mit Tracks von Produzentinnen (die jedoch kaum jemand kennt) voll gepackt. Doch so lange es zu Technosuperstars wie Carl Craig oder Luke Vibert keine weiblichen Pendants gibt, scheint eine Kritik von Nerd- und Geniekult in der elektronischen Musik vonnöten.

Hanin Elias ist eine der wenigen Frauen, die es geschafft haben, in der elektronischen Musik als eigenständig arbeitende Künstlerin wahrgenommen zu werden. Sie hat das nötige Selbstvertrauen und den entsprechenden Willen. „Bei den meisten Frauen ist der Wunsch gar nicht da, nach oben zu kommen. Man kriegt ja auch immer gleich was auf den Deckel. Bleib du mal lieber Sängerin, heißt es dann.“

Sängerin. Als solche finden sich einige Frauen in der elektronischen Musik. Paula, Goldfrapp, Portishead, Moloko sind allesamt paritätisch strukturierte Elektronikpopduos mit geschlechtstypischer Arbeitsteilung: Er ist der soundfummelnde Superchecker im Hintergrund, sie die Chanteuse mit Schmelzstimme und zuständig für die gelungene Pose vor der Kamera. Das Berliner Duo Laub, bei dem Antye Greie-Fuchs singt und beide für das Sounddesign zuständig sind, bildet eine Ausnahme.

Dass es auch im DJ-Business nur wenige Frauen gibt, die sich einen großen Namen gemacht haben und damit bei den Booking-Agenturen als Selbstläufer gelten, mag am fehlenden Willen zur Macht liegen. Aber auch an der ständigen Kollision mit eingefahrenen Strukturen. Luka Skywalker, Bassistin der Hamburger Band Brüllen und DJ, hat in einem Beitrag der Zeitschrift Testcard ein paar Gründe aufgezählt, die es einem als Frau nicht gerade leicht machen. Unter anderem: „Du gestaltest mit einem Kollegen einen Clubabend, und am Ende realisierst du, dass er doppelt so viel Gage bekommt wie du.“ Und: „Du versuchst deine Party in der lokalen Szenezeitung anzukündigen. Ein Tagestipp wird mit der Begründung abgelehnt, dass diesen Monat schon eine Veranstaltung läuft, auf der Frauen auflegen.“

Das weibliche Drum-&-Bass-Duo Kemistry & Storm hat mehr als einmal erklärt, sie müssten doppelt so gut sein wie die männlichen Kollegen, um akzeptiert zu werden. Von DJs wird erwartet, dass sie unglaublich viel über Musik wissen und dieses mit Können an den Plattenspielern verarbeiten. Spätestens seit „High Fidelty“ weiß man aber auch, dass das Protzen mit Expertenwissen über Musik eine Disziplin ist, in der sich besonders Männer gerne messen.

Eine Möglichkeit, mehr für Frauen im elektronischen Bereich zu tun, heißt Networking. Gudrun Gut betreibt mit ihrem Label Monika eine Plattform für Electronic-Popbands, bei denen möglichst „mindestens eine Frau mit dabei sein sollte“. Und Monika Kruse gibt in einem Interview mit der Zeitschrift De:Bug an, informelle Hilfestellung für verkannte DJs zu leisten, „indem ich, wenn ich mal krank bin oder nicht kann, sage: Nehmt doch die Bianca von der Houseattack, die legt super auf.“

Einfach ran an die Plattenspieler – wohl die wirksamste Strategie. Findet auch Hanin Elias: „Eine Freundin von mir legt super auf, die ganzen Leute im Technobereich haben ihr das nie zugetraut. Dann durfte sie einmal die Platten drehen, und alle fanden es super. Sie nennt sich übrigens Female Macho.“

Thema: Welche Rolle spielen wir? Gegenkultur versus MainstreamSamstag, 28. 4., 17 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen